Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
bisher der einzige brauchbare Hinweis. Damit hätten wir endlich unser Gift.«
»Schon, aber warum hat sie es nicht offen gesagt? Sie konnte nicht damit rechnen, dass Lehnhardt die Verbindung herstellen würde – was er im Übrigen auch nicht getan hat. Er war ratlos, was das ›Paternoster‹ anging.«
»Das ist richtig, aber die Frau lag, wie du schon sagtest, im Sterben. Sie fieberte, befand sich womöglich im Delirium. Da kannst du keine klaren Aussagen erwarten.«
Walther nickte. »Auch wieder wahr.«
»Ich rede mit Heffter«, sagte Leo. »Einer von euch sucht mir einen Botaniker.«
Sonnenschein hob die Hand. »Ich könnte in den Botanischen Garten fahren. Dort kann uns sicher jemand weiterhelfen.«
»Gut. Robert, du fährst mit«, sagte Leo und griff zum Telefon. »Sonnenschein, heute ist Freitag. Sie können danach Feierabend machen.«
»Ich war mal im Sommer hier«, erklärte Sonnenschein, als sie in der Königin-Luise-Straße in Dahlem aus dem Wagen stiegen. Es hatte aufgehört zu regnen, doch das trübe Novemberwetter lud nicht zu einem Spaziergang durch den Gartenein. »Es gibt wirklich wunderbare Pflanzen hier, aus allen Teilen der Welt. Es ist, als reiste man in ferne Länder.«
»Ich habe einen Schrebergarten.« Walther hatte das Gefühl, dass ihm nichts anderes übrigblieb, als sich auf ein Gespräch mit Sonnenschein einzulassen. »Nicht so exotisch, aber ich mag Pflanzen. Ist ganz erholsam nach der Arbeit.«
Sonnenschein nickte eifrig. »Einen Garten habe ich leider nicht, aber das kommt noch. Entweder möchte ich eine Wohnung mit Garten haben oder einen Schrebergarten, so wie Sie.«
Walther sah ihn von der Seite an. Er beschloss, sich mehr Mühe zu geben mit Sonnenschein. Der Mann hatte ihm nichts getan. Er war freundlich und fleißig, zwei Eigenschaften, die Walther schätzte, drängte sich nicht auf und spielte sich nicht in den Vordergrund.
»Ein Garten ist prima, gerade in diesen Zeiten«, erwiderte Walther gutmütig und nickte dem Kollegen zu. »Gehen wir.«
Der prachtvolle rote Ziegelbau mit den auffälligen Giebeln beherbergte unter anderem das Botanische Museum, in dem die Kriminalbeamten einen Fachmann zu finden hofften. Sie ließen sich vom Portier den Weg erklären und begaben sich in den Flügel, der den vielfältigen Sammlungen vorbehalten war. Am Eingang kam ihnen eine junge Dame in weißem Kittel entgegen.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Walther wies sich aus und erkundigte sich nach einem Fachmann. Sie wies auf eine hohe Doppeltür. »Dort drinnen ist Dr. Schindler bei der Arbeit. Er kann Ihnen sicher weiterhelfen.«
Dr. Schindler erwies sich trotz seines schütteren Haars als recht jung. Er blickte über seine goldgerahmte Brille, als sie den Raum betraten, und legte die Pinzette beiseite. »Ja, bitte?«
Walther stellte sich und Sonnenschein vor. »Wir sind dienstlich hier, da wir Auskunft zu einer giftigen Pflanze benötigen.«
Schindler sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Das ist mal eine ganz neue Erfahrung für mich. Bitte kommen Sie mit.« Schindler führte sie in einen kleinen Raum, in dem ein Tisch und drei Stühle standen. »Bitte.«
Als sie sich gesetzt hatten, schaute er Robert Walther und Sonnenschein erwartungsvoll an. »Also, womit kann ich Ihnen dienen?«
»Mit Informationen zur Paternostererbse.«
»Ah.« Ein Strahlen ging über Schindlers Gesicht. »Da haben Sie sich ein besonders interessantes Exemplar ausgesucht. Und ein besonders giftiges, wenn ich das hinzufügen darf.«
»Was können Sie uns darüber sagen?«
»Der wissenschaftliche Name lautet
Abrus precatorius
, ein Strauch, der in Indien, aber auch in anderen tropischen Ländern heimisch ist. Er gehört zur Ordnung der
Fabales
, der Schmetterlingsblütenartigen und der Familie der Hülsenfrüchtler. Die Pflanze ist mehrjährig und wird bis zu zehn Meter hoch –« Er hielt inne, als Walther die Hand hob, und lächelte schief. »Verstehe. Die Kategorisierung nach Linné ist für Sie nur von untergeordneter Bedeutung. Also gut, was möchten Sie wissen?«
»Wir sind vor allem an dem Gift der Pflanze interessiert – worin ist es enthalten, wie sieht es mit der Verfügbarkeit hier in Deutschland aus, muss es aufbereitet werden, oder kann man Teile der Pflanze einfach so verabreichen?«
»Das sind viele Fragen auf einmal«, sagte Schindler. »Gut, von Anfang an. Die Paternostererbse gehört zu den giftigsten Pflanzen der Welt. Ihr Gift ist dem des Wunderbaums verwandt,
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