Die Tote
mit einem Flachbildfernseher. Frau Dölling war Charlottes Blick gefolgt.
»Den hat mir mein Sohn gekauft und die ganze Einrichtung hier.« Sie machte eine ausladende Handbewegung, die nicht nur das Wohnzimmer, sondern die ganze Wohnung einzuschließen schien. »Ich hätte ja meine alten Sachen ganz gern behalten, aber … na ja, setzen Sie sich doch.«
Die beiden setzten sich auf das Sofa und nahmen dankend den Tee an. Er war stark und schwarz, sah fast aus wie Kaffee. Charlotte nahm ihn mit Milch und legte Frau Dölling dann das Foto von Janina Heimann vor.
»Kennen Sie dieses Mädchen?«, fragte sie gespannt und nahm einen Schluck von dem sehr schmackhaften Tee, den Frau Dölling in geblümten Goldrandtassen serviert hatte.
Die Frau nahm das Foto, schob ihre Brille hoch und hielt es sich direkt vor die Nase.
»Also, wenn ich mich nicht irre, dann könnte das die Janina sein. Die hatte aber nicht so dunkle Haare. Meine Güte, was ist denn mit dem Mädchen?«
»Sie ist tot. Sind Sie sicher, dass es sich um Janina Heimann handelt? Schauen Sie noch mal genau hin«, bat Charlotte.
Frau Dölling tat, wie ihr geheißen, betrachtete gründlich das Foto und schüttelte dann den Kopf. »Ja, ich bin da nicht ganz sicher, meine Augen sind nicht mehr so gut, und ich hab das Mädchen schon sehr lange nicht mehr gesehen. Aber ähnlich sieht sie schon aus.«
»Wissen Sie, wo Janina Heimann sich aufhält, falls sie es nicht ist?«, wollte Charlotte wissen.
Frau Dölling seufzte. »Ja, das war ein Trauerspiel mit dem Kind, hat es nicht leicht gehabt, müssen Sie wissen. Die Mutter so früh gestorben und der Vater … na ja. Jedenfalls hat der Heimann zu mir gesagt, dass sie zu ihrer Großmutter nach Braunschweig abgehauen ist. Das ist aber schon ziemlich lange her, bestimmt schon über ein Jahr.«
»Können Sie uns ein bisschen was über das Mädchen erzählen? Wissen Sie, ob sie einen Freund hatte? Bekam sie öfter Besuch?«
Frau Dölling nahm sich einen von den Butterkeksen, die in einer fein ziselierten Schale auf dem Tisch standen, und knabberte mit ihrem zahnlosen Kiefer daran herum.
»Wissen Sie, das Kind ist hin und wieder bei mir gewesen, nachdem die Mutter gestorben war und auch vorher schon, wenn der Vater mal wieder einen seiner … Tage hatte. Da hab ich die beiden manchmal bis in den Garten schreien gehört, und das Kind hatte öfter mal blaue Flecken, und die kamen nicht davon, dass sie sich gestoßen hat, obwohl sie das immer gesagt hat.«
Frau Dölling wedelte mit dem abgelutschten Keks vor Charlottes Nase herum. Maren, die mit ihrem Notizblock neben ihr saß, rümpfte die Nase.
»Was ist mit der Mutter passiert?«, fragte Charlotte.
»Ja.« Frau Dölling steckte den Keks wieder in den Mund, kaute und erzählte dabei unbeirrt weiter und verteilte Keksbrei auf ihrer dunkelblauen Bluse. »Das war so eine Sache. Ich weiß noch, dass damals auch die Polizei da war. Die Frau war nämlich die Treppe runtergestürzt. Schlaftabletten hatte sie genommen, haben se hinterher gesagt. Aber ich frage Sie? Wieso nimmt die denn am frühen Morgen Schlaftabletten? Die nimmt man doch wohl abends oder wenigstens nachts.«
Da musste Charlotte ihr recht geben. »Was war Janina für ein Mädchen? Können Sie sie beschreiben?«
»Also, sie war ein ganz stilles Kind, sehr lieb, aber … wie soll ich das sagen, nicht besonders helle.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na ja, sie konnte nicht gut lesen und schreiben.« Frau Dölling tunkte einen Keks in ihren Tee.
»Also war sie Legasthenikerin?«
»Was weiß ich, wie sie das heute nennen. Heute hat man ja für alles einen Namen, und alles ist eine Krankheit, gegen die man Tabletten nehmen kann. Als mein Sohn mal nicht still sitzen wollte, da hab ich ihn dreimal bis zum Friedhof gejagt, da war er hinterher froh, wenn er sich hinsetzen durfte. Heute kriegen die Kinder Tabletten, hat mir meine Schwiegertochter erzählt, die arbeitet im Kindergarten, müssen Sie wissen.«
»Sie haben also das Mädchen seit über einem Jahr nicht mehr gesehen?«, hakte Charlotte nach. »Hat sie Ihnen gesagt, dass sie zu ihrer Oma wollte?«
»Nein, das hat der Vater gesagt, als ich mal nachgefragt hab, wie’s ihr geht.«
»Wissen Sie, wo Herr Heimann arbeitet?«
Frau Dölling gluckste und stellte ihre Tasse ab. »Der arbeitet doch nicht. Jedenfalls nicht im Moment. Manchmal, da geht er abends regelmäßig los. Dauert immer so sechs Wochen. Weiß nicht, was er dann macht, aber im Moment hängt er
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