Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote

Die Tote

Titel: Die Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion
Vom Netzwerk:
versuchte, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Sie hatte das Gefühl, dass ihr ständig ein guter Geist auf die Schulter klopfte und einen Hinweis gab, den sie nicht verstand. Sie musste Ballast abwerfen, sich auf das Wesentliche konzentrieren, die Spreu vom Weizen trennen. Aber wie sollte man sich konzentrieren, wenn die Angst den Verstand lähmte? Auch so eine evolutionäre Errungenschaft, die in der Zivilisation eher hinderlich war.
    Für den Steinzeitmenschen mochte es ja noch lebensrettend gewesen sein, wenn er im Angesicht eines Fleischfressers einfach das Weite suchte, ohne vorher Berechnungen darüber anzustellen, bei welchem der verfügbaren Bäume eine Rettung am wahrscheinlichsten wäre. Aber heute? Heute waren Antworten gefragt. Antworten, die Konzentration und Nachdenken voraussetzten. Charlotte faltete die Hände wie zum Gebet. Vielleicht war es das ja, dachte sie. Vielleicht sollte sie beten. Das hatte sie seit ihrer Kindheit nicht mehr getan, und sie glaubte auch nicht daran, dass es irgendwo jemanden gab, der die Probleme für einen löste, wenn man ihn nur innig genug darum bat. Sie konnte sich auch nicht erinnern, dass das in ihrem Leben jemals der Fall gewesen war. Allerdings konnte sie sich auch nicht daran erinnern, jemals innig gebetet zu haben. Sie hatte sich schon immer auf sich selbst verlassen und war damit ganz gut gefahren. Das würde sie jetzt nicht ändern.
    Es klopfte. Bremer steckte den Kopf zur Tür herein.
    »Ich hab die Frau Wildner beim  NDR  angekündigt, wegen des Fernsehaufrufs. Willst du dabei sein?«
    »Nein«, antwortete Charlotte, »sag Maren, sie soll die beiden begleiten.«
    »Und die Frau Wilmers vom Jugendamt hat angerufen, dass das Findelkind an einer Erbkrankheit leidet – irgendwas mit der Schilddrüse. Das könne man aber behandeln. Und sie würde sich gern noch mal mit dir unterhalten, wegen des Großvaters. Ich hab sie erst mal abgewimmelt. Die Frau Meiler wird sich wegen eines Termins melden.«
    »Ja, das sollte sie tun«, sagte Charlotte. »Sonst irgendwas Neues?«
    »Leider nicht, wir bleiben dran.«
    Bremer schloss die Tür, und Charlotte sah ihm versonnen nach. Ihre Angst machte Pause, verflüchtigte sich für einen Moment und vertrieb den zähen Schleier, der den Verstand blockierte, wie eine Böe die Schwüle vor dem Gewitter. Charlotte war etwas eingefallen. Die Gehirnzellen arbeiteten wieder vorschriftsmäßig und führten ihre Gedanken langsam, aber beharrlich geordnete Wege entlang, die zu einem Ergebnis führten. Einem Ergebnis, das auf alle Fragen eine Antwort hatte, das alle Puzzleteile zu einem ungeheuerlichen Ganzen zusammenfügte.
    Niemand würde ihr das glauben. Ostermann schon gar nicht, und sie hatte keine Beweise, noch nicht. Aber sie musste schnell handeln.
    »Thorsten«, murmelte sie, Thorsten würde ihr helfen.
    Sie warf sich ihre Jacke über und rannte aus dem Büro.
    * * *
    Das Mädchen wimmerte, Bergheim drückte sich gegen die Wand, versuchte das Mädchen abzuschütteln, das sich an seinem linken Arm festklammerte. In der linken Hand hielt er einen Stein. Dann wurde die Tür aufgestoßen.
    »Rauskommen!«, kommandierte eine männliche Stimme. »Mit erhobenen Händen rauskommen! Die Frau zuerst!«
    Das Mädchen schlotterte und blieb hinter Bergheim stehen.
    Eigentlich ganz vernünftig, dachte er. Wieso sollten sie sich von diesem Typen, der sich nicht mal in den Raum traute, rumkommandieren lassen? Die Antwort bekamen sie postwendend.
    »Wenn ihr hier drin nicht langsam verrecken wollt, solltet ihr rauskommen, und zwar genau so, wie ich’s gesagt habe. Die Frau zuerst.«
    Konnte er das riskieren? Wer wusste schon, was dieser Bastard mit ihnen vorhatte. Verhandeln. Er musste verhandeln.
    »Das wird nicht funktionieren. Ich muss sie tragen.« Das stimmte zwar nicht, aber das wusste der Kerl ja nicht.
    »Dein Problem«, kam die körperlose Stimme aus dem Nebenraum.
    Bergheim legte den Stein ab und bemühte sich, das Mädchen zu beruhigen. Sanft pflückte er ihre Hände von seinem Arm und versuchte, sie hochzuheben. Sie war zwar federleicht, aber absolut nicht willens, sich aus dem Raum tragen zu lassen. Inzwischen hatte die Stimme einen Körper bekommen. Ein Mann mit Sturmmaske stand in der Tür und hielt ihnen eine Waffe vor die Nase.
    »Hände hinter den Kopf!«, kommandierte er. »Und du …«, er wies auf die junge Frau, die zurückwich, »kommst zu mir, aber sofort!«
    Zu Bergheims Verblüffung gehorchte das Mädchen. Frauen

Weitere Kostenlose Bücher