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Die toten Mädchen von Villette

Die toten Mädchen von Villette

Titel: Die toten Mädchen von Villette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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bißchen Geld zu verdienen. Die Wohnung bestand aus drei Zimmern, die hintereinander lagen – einem Wohnzimmer in der Mitte, einem Schlafzimmer rechts, einem Arbeitszimmer mit zusätzlichem Bett im Raum links – und einer Küche, die unbequem einen Stock tiefer lag, mit eigenem Eingang. Sophie hatte sowieso nicht vor, ihre Wochen in Villette am Herd zu verbringen. Und die Wohnung war charmant, mit ihren tiefen Fensternischen und breiten Dielenböden, auch wenn die Einrichtung für Sophies Geschmack zu dunkel und plüschig war.
    – Stell den Koffer bitte da rein, sagte Sophie und hob das Kinn in Richtung linkes Zimmer.
    – Du hast also gedacht, daß Philippes Mädchen hier mitdir wohnen soll, sagte Tony. Ahnte sie ein gewisses Bedauern in seiner dunklen Stimme? Doch, absolut. Sie bereute es fast selbst. Aber das Angebot an Tatia war spontan gekommen. Sie hatte eine Schwäche für das Mädchen, das so offensichtlich talentiert war, aber verletzlich und ziemlich einsam wirkte und sicher darunter leiden würde, wenn sie allzusehr kämpfen mußte, um ihren eigenen Weg gehen zu dürfen.
    Tony setzte den Koffer unter dem Fenster im Arbeitszimmer ab. Er war schwer, so schwer, daß Tony ihn beinah fallen ließ, als er ihn in Richtung Fußboden senkte, und er landete mit einem hörbaren Bums auf den alten, dunklen Bodendielen.
    – Ja, ich habe Tatia versprochen, daß sie hier wohnen kann, aber sie muß ja nicht sofort einziehen, sagte Sophie. Das kann warten, bis wir mit den Fernsehaufnahmen anfangen.
    Sie ging zu dem Koffer, hob neugierig den Deckel und begegnete einer Wolke von Mottenpulver. In der Tiefe des Koffers schimmerten Tatias Kleiderfunde in einem Regenbogen von Farben, Puderrosa, Safrangelb, Flaschengrün und Tintenblau.
    – Tatia sagte, es ist eine Dreißiger-Jahre-Bluse dabei, die mir perfekt passen würde, sagte sie. Jacques wollte übermorgen ein paar Bilder von mir machen, für ein Interview in der Elle, und ich dachte, ich könnte sie da vielleicht tragen, wenn sie so gut ist, wie Tatia sagt.
    – Dieser Fotograf, sagte Tony übertrieben nonchalant, ist er vielleicht ein alter Freund?
    Sophie schielte zu ihm hinüber. Sie hoffte, daß er nicht eifersüchtig veranlagt war. Hysterisch eifersüchtige Männer waren das Schlimmste für sie. Ihre Blicke begegnetensich, und er sah, was sie dachte, ein Augenblick völliger Übereinstimmung.
    – Nein, Sophie Lind, sagte Tony, ich bin nur neugierig, sonst nichts. Wie könnte ich?
    – Aha, sagte sie, nein, wir waren nie zusammen, aber du bist nicht der erste, der das fragt. Er war wohl etwas interessiert an mir, als wir »Blanche von Namur« gespielt haben, aber da war ich ja nur mit Eskil beschäftigt. Und danach war es nie ein Thema.
    Sie fing an, im Koffer zu wühlen, und fand bald die Bluse, von der Tatia erzählt hatte, traumhaft schön aus pfirsichrosa Seidencrêpe mit weiten Ärmeln und bezogenen Knöpfen. Sie hängte sie über einen Stuhl und hockte sich dann vor den Koffer, um die Kleider wieder zu ordnen.
    Etwas spürte sie an der Seite des Koffers, einen Kasten, der ein paar Zentimeter hoch zu sein schien, eingelassen in den Boden des alten Koffers.
    – Schau mal, sagte Sophie, ein Geheimfach. Du mußt eine Art Feder ausgelöst haben, als du ihn hingestellt hast.
    – Ist etwas drin? fragte Tony.
    Sophie guckte in den Kasten und sah einen Stapel Papier und ein paar hellblaue Umschläge.
    – Ach, ein bißchen alter Papierkram, sagte sie und schob den Kasten mit der Hand zurück.
    Plötzlich hatte sie alte Kleider und alte Erinnerungen herzlich satt. Sie schlug den Koffer zu und kniete sich auf den Deckel, um aus dem Fenster zu sehen. Das Fenster ging auf die Place de la Cathédrale, wo gerade ein Schwarm Tauben landete. Im Schatten des Hauses unten auf der Straße lag eine schwarze Katze und beobachtete die Tauben, träge, aber lüstern. Sie machte das Fenster auf und setzte sich in die Fensternische, genau wie sie in einer Szene in »Blanche von Namur« gesessen hatte. Tony holte tief Luft.
    – »Sitzt du hier allein, mein Herz«, sagte er leise. Sophie wandte ihm den Blick zu und sah ihm direkt in die Augen.
    – »Ja, ich habe dagesessen und die Sterne angeschaut«, sagte sie.
    Er machte einen Schritt auf sie zu, und ihr Herz klopfte.
    Das Geheimfach hatte sie schon vergessen.

    – Bist du beschäftigt, oder kann ich reinkommen? sagte Alice Verhoeven. Ich habe ein bißchen herumtelefoniert, und ich glaube, ich bin fündig geworden. Da ist etwas,

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