Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
dir. Selbst wenn man mir nicht glauben sollte, bringt das deinen Namen in Misskredit. Mag sein, dass die Leute mit dir mitfühlen oder sich mit dir identifizieren; wahrscheinlich werden sie sich sogar wünschen, du hättest abgedrückt. Aber sie werden auch jedes Mal daran denken, wenn sie sich nicht für dich, sondern für einen anderen Anwalt entscheiden.«
»Das wird nicht passieren. Die Leute werden mich dafür lieben.«
»Ich glaube, du irrst dich gewaltig, was die Vorlieben der Leute angeht. Bist du bereit, das zu riskieren?«
Er späht zu seiner Frau hinüber. Sie wirkt ein wenig besorgt, aber ich wette, sie weiß nichts von der kleinen Exkursion, auf die mich ihr Mann mitgenommen hat.
Mein Anwalt wollte mich umbringen. Doch er hat es nicht geschafft, und jetzt bin ich hier, um ihn weiter in jene Welt zu locken, in die er bereits einen Fuß gesetzt hat. Allerdings biete ich ihm einen Ausweg. Er muss das nur einsehen – aber da er Anwalt ist, wird er das wahrscheinlich auch tun.
»Nur die Vorlage«, sagt er.
»Das ist alles.«
»Ich brauche eine Stunde.«
»Ich habe Zeit.«
Ich schlendere nach oben in die Cafeteria und bestelle einen Kaffee und zwei Brötchen mit Hühnchen und Eiersalat. Hier liegen mehrere Zeitungen herum. Nichts in dem Foto auf der Titelseite deutet darauf hin, dass Vater Julian ein Doppelleben geführt hat. Irgendwo steht ein Standardkommentar von einem ranghohen Polizeibeamten: Wir gehen sämtlichen Spuren nach, momentan können wir jedoch keine weiteren Angaben machen . Sie haben eine Mordwaffe, aber keinen Verdächtigen. Ein paar Seiten weiter hinten steht noch ein Artikel. Er enthält Einzelheiten zu Vater Julians Biografie. Vor drei ßig Jahren ist er der Kirche beigetreten. Er wurde in Wellington als Sohn einer Mittelstandsfamilie geboren, war ein ausgezeichneter Schüler und wurde mit einundzwanzig Priester. Seine Mutter ist bereits vor fünfundzwanzig Jahren gestorben, sein Vater lebt noch. Es würde einige der Zahlen und Fakten über den Haufen werfen, wenn herauskäme, dass Julian Vater all dieser Kinder ist.
Ich blättere weiter durch die Zeitung, schaffe es aber nicht ganz bis zum Ende, bevor Donovan Green zurückkehrt. Er will sich gerade auf den Stuhl gegenüber setzen, als er es sich anders überlegt. Er möchte nicht mit einem Typen wie mir zusammenhocken. Er zieht einen Umschlag aus seiner Jackentasche, legt ihn auf den Tisch und hält ihn mit zwei Fingern fest.
»Das war’s, oder?«, fragt er.
»Kommt drauf an.«
»Worauf?«
»Ob in dem Umschlag eine Weihnachtskarte steckt oder das, was ich wollte.«
Er schiebt ihn über den Tisch. Ich öffne ihn und werfe einen Blick auf den Gerichtsbeschluss. Ich kenne die Dinger, er ist echt.
»Und jetzt will ich dich nie wieder sehen«, sagt er.
»Wozu es auch gut ist, es tut mir leid.«
»Ja. Das kriegen wir Anwälte ständig zu hören. Wenn es vorbei ist, tut es allen leid.«
Ich antworte nicht. Er starrt mich ein paar Sekunden an, und ich weiß, dass er sich vorstellt, wie sein Leben jetzt wohl aussähe, wenn er mich getötet hätte.
»Schlimmer«, sage ich.
»Was?«
»Es wäre alles nur noch schlimmer. Glaub mir. Du hast das Richtige getan.«
Er nickt, scheint zu verstehen, dann dreht er sich um und verschwindet. Ich schiebe die Zeitung beiseite, beende mein Mittagessen und gehe runter zum Wagen.
Kapitel 47
Am Wochenende ist auf den Straßen um das Pflegeheim herum immer etwas mehr los als sonst, allerdings ist der Verkehr nicht mit dem vorm Krankenhaus zu vergleichen. Der Aufenthalt dort ist nur vorübergehend. Der Besuch macht den Verwandten und Freunden nichts aus, denn sie müssen nur ein paarmal dort hinfahren. Doch hierher kommt man immer wieder. Und die Besuche lassen sich manchmal eben nicht mit dem täglichen Terminplan unter einen Hut bringen. Das Pflegeheim ist zu deprimierend, selbst mit seinen hellen, bunten Bildern und Pflanzen. Der Schmerz und das Elend hier lassen sich nicht verbergen.
Ich sitze bei meiner Frau und halte ihre warme Hand. Sie schaut hinaus in den Regen, ohne ihn wahrzunehmen. Kaum vorstellbar, dass sich jemand nicht auf irgendein bestimmtes Wetter freut. Sonne, Regen, Gewitter: Sie kriegt es nicht mal mit.
»Es geht aufwärts«, sage ich. »Ich habe aufgehört zu trinken, und zugegeben, es ist nicht leicht. Und schwer zu erklären. Ohne Alkohol fühle ich mich, als würde ein Teil von mir fehlen. Ich glaube, ich brauche noch einen Abschiedsdrink. Das kann doch nicht
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