Die Toten von Bansin
gehen wir zusammen in die Ostsee. Du hältst dich einfach an mir fest, dann kann dir nichts passieren. Mich schmeiÃt so leicht keine Welle um.«
Es ist nach Mitternacht, als Sophie die letzten Gläser spült. Anne gähnt, während sie dabei zusieht. Die anderen sind gegangen.
»Ist Inka wirklich wasserscheu?«, fragt Sophie. »Das wusste ich gar nicht. Ist ja komisch, sie ist doch hier aufgewachsen.«
»Ja, das stimmt. Als Kind ist sie oft am Strand gewesen und auch geschwommen. Aber heute bekommen sie keine zehn Pferde mehr ins Wasser. Keine Ahnung, was da genau passiert ist. Ich glaube, Inka ist wohl sensibler, als sie immer tut. Ich hab schon erlebt, dass sie plötzlich anfing zu heulen und keiner wusste so richtig, weshalb.«
»Vielleicht ist sie deshalb immer so unsicher und ungeschickt. Das tut mir ja leid, ich mag sie eigentlich.«
»Ja, ich kann sie auch gut leiden, obwohl sie manchmal nervt. Aber in letzter Zeit geht es wirklich mit ihr. Die Arbeit scheint ihr gut zu tun. Diese Steffi ist übrigens auch nett.«
»Na klar, sonst hätte Tante Berta sie hier ja nicht angeschleppt.«
»Ach was, es braucht doch nur jemand zu jammern, dass es ihm schlecht geht, schon nimmt deine Tante ihn unter ihre Fittiche. Sie ist eben eine richtige Glucke.«
»Sie ist es halt gewohnt, für alles in ihrer Umgebung die Verantwortung zu übernehmen. Das war schon so, als das hier noch ein FDGB-Heim war. Da war sie ja für die Lehrlinge zuständig. Aber eigentlich hat sich jeder ihrer Kollegen bei ihr ausgeheult. Sie hat auch vielen geholfen. Das war eben ihre Ersatzfamilie. Na ja, sie fühlt sich nur wohl, wenn sie sich kümmern kann und es allen gut geht.«
»Und das lieben wir ja auch so an ihr«, bestätigt ihre Freundin nur ein ganz wenig ironisch.
Da geht er, ungeniert Hand in Hand mit seinem Freund, selbstbewusst und unbeschwert. Es macht mich so wütend, ihn lachend zu sehen. Er hat es längst vergessen, dass er aufpassen sollte. Er hatte die Verantwortung! Sie haben sich auf ihn verlassen. Der groÃe Bruder des Kindes war auch so sportlich, hat sich auch gern gut gekleidet. Nach dem Unglück hat er nur noch selten gelacht, wurde still und gleichgültig, hatte keine Freunde mehr. Wenige Jahre später hat er sich nur noch dafür interessiert, woher er Geld für seine Drogen bekommt. Diesem gewissenlosen Bengel da wird das Lachen auch vergehen.
Samstag, 13. Oktober
Auf ihrem vormittäglichen Spaziergang über die Strandpromenade geht Berta heute besonders langsam. Es ist ein typischer Oktobertag, mit hohem blauen Himmel und frischer klarer Luft. Tief atmet sie den herbstlichen Geruch von modrigem Laub ein. Ungewöhnlich deutlich ist die Küste der Insel Wollin zu sehen, das Seebad Misdroy kann man klar erkennen. Davor zeichnet sich die Pyramide der Heringsdorfer Seebrücke ab. Am Horizont leuchtet die groÃe weiÃe Schwedenfähre auf ihrem Weg in den Swinemünder Hafen.
Bevor sie in die Fischerhütte tritt, bleibt Berta stehen und blickt nach Westen. Dort türmen sich dicke dunkelblaue Wolken und bilden einen faszinierenden Hintergrund für die leuchtend bunten Bäume, die noch von der Sonne beschienen werden. Die alte Frau bedauert, keinen Fotoapparat dabei zu haben. Aber das Bild würde wahrscheinlich nur kitschig aussehen. Sie speichert es stattdessen in ihrem Gedächtnis und öffnet die Tür.
»Unter âºBudeâ¹ versteht man bei uns etwas ganz anderes«, erklärt Steffi gerade. »In Köln ist das so ein Kiosk, wo es Zeitungen gibt, Schabau, Zigaretten und SüÃkram.«
»Was ist denn âºSchabauâ¹?«, unterbricht Berta erstaunt.
»Na, Schnaps.«
»Ja, das ist ja denn auch das Einzige von dem Zeug, was es bei mir auch gibt«, stellt Plötz fest. Aber âne Bude ist hier eigentlich eine Fischerhütte. Und ich hab jetzt sogar zwei. Weil mein Bruder nicht mehr fischen kann, der kann sich kaum noch rühren wegen seinem Rheuma und sein Sohn hat keine Lust. Kann man ihm ja auch nicht verdenken.«
»Lohnt sich das denn nicht?«, will Steffi wissen. »Der Fisch ist doch ziemlich teuer. Und romantisch ist es auch, immer auf dem Wasser, das hat so etwas von Freiheit und Abenteuer, find ich.«
Plötz schüttelt nur den Kopf, aber Berta erklärt: »Wenn du nachher im November oder im Frühjahr mit klammen Fingern stundenlang
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