Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
einen Mann seines Alters würde es plausibler klingen, wenn er schon einmal verheiratet war.«
»Für mich macht es inzwischen den Eindruck, als wäre er mittel- oder südamerikanischer Abstammung.«
»Wenn du gebürtiger Argentinier wärst, würdest du einen falschen Pass aus deinem ursprünglichen Heimatland benutzen?«
»Vielleicht nicht, aber damit bleibt immer noch der Rest des Subkontinents«, sagte Falcón. »Vielleicht müssen wir einen Termin mit Juez Calderón verabreden. Anfang der Woche ist sowieso ein Treffen fällig. Und ich denke doch, dass man von einer neuen Entwicklung sprechen kann.«
Er erreichte Calderóns Sekretärin. Der Staatsanwalt beendete gerade eine Sitzung. Sie wollte sehen, ob er vor dem Mittagessen noch einen Termin einschieben konnte, denn danach war es völlig aussichtslos. Falcón legte auf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
»Was für Menschen brauchen eine so raffinierte Tarnung wie Rafael Vega?«, fragte er.
»Jemand, der verdeckt für eine Regierung oder eine Terrororganisation arbeitet«, schlug Ramírez vor. »Jemand, der in den Drogenhandel verwickelt ist.«
»Was ist mit einem Waffenhändler?«, fragte Falcón. »Die Russen-Connection. Wo bekommt man am leichtesten militärisches Gerät?«
»In Russland über die Mafia«, sagte Ramírez. »Und das Geld fließt über die Bauprojekte. Die Grundstücksverkäufe sind direkt zwischen den ursprünglichen Besitzern und den Russen abgewickelt worden. Kein Geld, das man zu Vega zurückverfolgen könnte.«
»Plausibel, aber es wirft weitere Fragen auf. Wen beliefert er und, bevor die Fantasie mit uns durchgeht, warum hätte man ihn umbringen sollen?«, fragte Falcón.
Calderóns Sekretärin rief zurück und sagte, dass der Juez sie in einer halben Stunde treffen könnte. Sie fuhren zum Edificio de los Juzgados und gingen direkt hoch in Calderóns Büro. Er hatte sich von seinem Schreibtisch abgewandt und starrte rauchend durch die Schlitze der Jalousien vor seinem Fenster.
»Haben wir einen Fall oder nicht?«, fragte er, ohne sich umzudrehen.
»Wir haben Komplikationen«, sagte Falcón und berichtete ihm von dem geheimen Leben des Rafael Vega.
Während Falcón sprach, drehte sich Calderón mit seinem Schreibtischsessel um. Wenn er bei ihrem letzten Treffen ausgesehen hatte, als wäre er tagelang im Gebirge herumgeirrt und eben erst in die Stadt zurückgekehrt, so wirkte er jetzt wie ein Mann, der seine Kameraden hatte essen müssen, um zu überleben. Sein Gesicht sah ausgezehrt aus, er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und seine Stirn war von tiefen Falten zerfurcht. Außerdem schien er abgenommen zu haben, sein Hals wirkte schmächtig im Kragen seines Hemdes. Als Falcón mit seinem Bericht fertig war, nickte Calderón nachdenklich, wirkte jedoch abwesend. Zumindest schienen die neuen Informationen seinen Ehrgeiz nicht zu befeuern.
»Nun, Sie haben ein wenig mehr Hintergrundinformationen über Vega«, sagte er, »aber im eigentlichen Fall gibt es keine nennenswerte Entwicklung – kein Zeuge, kein Motiv. Was genau wollen Sie von mir?«
»Für den Anfang einen Durchsuchungsbefehl für ein Schließfach bei der Banco Banesto«, schaltete sich Ramírez ein, nachdem er einen Blick mit Falcón gewechselt hatte.
»Wem gehört das Schließfach?«, fragte Calderón.
»Vega natürlich«, sagte Ramírez, erstaunt über die Begriffsstutzigkeit des Staatsanwalts, »es läuft allerdings auf den Namen Emilio Cruz.«
»Ich kümmere mich darum«, sagte Calderón. »Was noch?«
»Wir haben verschiedene Theorien. Wir wollen mehr Zeit«, sagte Falcón und erwähnte die Russen-Connection und den möglichen Waffenhandel sowie die Namen aus Vegas Adressbuch, Raúl Jiménez’ Fotos und die Tatsache, dass sich alle Männer offenbar gekannt hatten.
»Das sind alles Vermutungen«, sagte Calderón. »Wo sind die Beweise? Vega hat seit fast zwanzig Jahren in Sevilla ein erfolgreiches Unternehmen geführt, das er mehr oder weniger aus dem Nichts aufgebaut hat. Nun gut, er leitete seine Firma auf eine spezielle Weise und…«
»Sie scheinen zu vergessen, dass er ein Mann mit perfekt gefälschter spanischer Identität, einem argentinischen Alias und laufenden marokkanischen Visa für eine schnelle Flucht war«, sagte Ramírez. »Dieses Maß von Geheimniskrämerei macht aus ihm mehr als einen erfolgreichen, verheirateten Mann, dem, sagen wir mal, eine Affäre über den Kopf gewachsen ist.«
Calderón schoss ihm einen Blick zu, der knapp
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