Die Totenfrau des Herzogs
um mich, Ima«, unterbrach er da ihre düsteren Gedanken. »Gott wird meine Wege segnen, und mein Vater wird vom Himmel aus voller Wohlwollen
auf mein Tun blicken. Sie hat keine Macht über mich.« Er ließ den Zügel lang, damit das Pferd Gras zupfen konnte. Hinter ihnen seufzte Gérard laut auf, anscheinend dauerte ihm diese Pause schon wieder zu lange. Die ganze Zeit hatte er genörgelt, dass sie sicher verfolgt würden und dass man, statt Pausen zu machen, noch schneller reiten müsse. Er hatte ihr nicht einmal erlaubt, die Wunde, die Örn ihm zugefügt hatte, zu verbinden. Das mochte auch andere Gründe haben, und es war besser, jetzt nicht darüber nachzudenken, weil ihr eigenes Herz ja auch nicht zur Ruhe kam. Und sicher hatte er auch recht, auf Eile zu drängen. Die Luft roch nämlich immer noch nach Rauch - das Gebiet der Waldbrände lag nicht weit genug hinter ihnen, und sie besaßen nur die Wegbeschreibung eines alten Fallenstellers, den sie unterwegs getroffen und befragt hatten.
Ima wusste, dass er sich Sorgen machte, sie könnten sich verirren und erneut in den Feuern landen, von denen sie nicht einmal wussten, wo sie sich ausdehnten. Bei der letzten Pause hatten die Männer darüber gesprochen - gedämpft, damit sie es nicht mitbekam, doch sie hatte sich nur schlafend gestellt. Schlaf war ein Luxus, den sie sich nicht gestattete, solange sie noch Gefahr witterte.
»Zumindest seid Ihr nun gewarnt, mon seignur «, sagte sie leise.
»Bitte sorgt Euch nicht. Versprecht es mir. Reist nach Hause.« Er grinste mit einem Mal wie ein Lausbub. »Auch wenn es Euch nicht ansteht - aber lasst Euch von ihr mit allen Annehmlichkeiten, die einer Herzogin gebühren, nach Hause bringen, Ima. Und dann versucht zu vergessen, was Ihr erlebt habt.«
Sie nickte stumm. Es tat gut, einem Mann gegenüberzustehen, von dem kein Begehren ausging. Es tat auch gut, eine Sache zu einem glücklichen Ende gebracht zu haben. Des Guiscards Geist hatte nach Tagen der Drangsal endlich
Ruhe gegeben. Jetzt fühlte sie sich erschöpft und unfähig, auch nur die Hände zu heben.
»Können wir los, Ima?« Gérard schien es nicht mehr auszuhalten, vielleicht war er auch eifersüchtig. Sie fühlte sich zu müde, um ihm zuzuhören. Sollte er doch eifersüchtig sein. Er hatte ihr den ganzen Ärger eingebrockt. So war es doch gewesen …? Selbst darüber nachzudenken wurde zu anstrengend, und so starrte sie nur auf den Boden.
»Warum habt Ihr kein drittes Pferd verlangt?«, wiederholte Bohemund seine Frage von vorhin.
»Er hätte mir keins gegeben«, sagte sie niedergeschlagen.
Sie wusste, dass das möglicherweise nicht richtig war. Örn hätte ihr alles versprochen, aus der Gewissheit heraus, dass sie bei ihm bleiben würde, wenn sie das Spiel verlor. Und er war sich sehr sicher gewesen, dass sie verlieren würde … Unter gesenkten Wimpern nahm sie Gérards breite Gestalt wahr. Er war selbst schuld, er hatte ihr Höllenqualen zugefügt, weil er sie durch seine Unbedachtheit in solche Gefahr gebracht hatte - was musste er ihr auch nachreiten, sie kontrollieren, was musste er in seiner Großartigkeit alles kaputt machen, ihre Pläne stören … Sie spürte, wie Wut durch ihre Müdigkeit hindurchdrang, wusste aber gleichzeitig, wie närrisch das alles war und dass an ihren Anschuldigungen etwas nicht stimmte. Mit Macht schob sie das alles beiseite. Der Herzogssohn war gerettet, ein feiger Mordanschlag vereitelt - alles andere spielte im Moment keine Rolle.
»Euer Ritter wird Euch beschützen und sicher heimbringen«, lächelte Bohemund, als ahnte er, was sich zwischen dem Hauptmann des Herzogs und der Ärztin abspielte. Vielleicht hatte er auch nur Gérard ins Gesicht geschaut, für den Zurückhaltung ein Fremdwort zu sein schien. »Vertraut Euch ihm an - Ihr habt genug getan, Ima. Ich verdanke Euch mein Leben, und ich werde Euch das niemals
vergessen, solange ich lebe.« Bedauernd hob er die Schultern. »Leider kann ich meine Dankbarkeit nicht einmal durch einen Ring ausdrücken, weil mir alles gestohlen wurde. So wisst, dass ich Euch ebenso hoch schätze, wie mein Vater Euren Vater geschätzt hat. Wärt Ihr ein Mann, wärt Ihr als Vertrauter an meiner Seite, so wie Euer Vater den meinen begleitet hat.« Förmlich neigte er das Haupt vor ihr und nahm den Zügel in die Hand.
Dass er sie weder berührte noch küsste, trieb Gérard das Blut in den Kopf - doch diesmal vor Stolz, weil er sie damit behandelte wie eine hohe, ebenbürtige
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