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Die Totensammler

Die Totensammler

Titel: Die Totensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PAUL CLEAVE
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Beziehung zu ihm aufzubauen oder ihn auszutricksen. Aus seiner Lektüre hat er gelernt, dass man, wenn man einem Serienmörder ausgeliefert ist, ihn möglichst oft mit seinem Namen ansprechen soll, falls man diesen kennt. Wahrscheinlich benutzt ihn Cooper deswegen. Er ist sich nicht ganz sicher – es ist verwirrend, und das mag er nicht. Ja, es macht ihn wütend. Er versucht sich einen der Sprüche seiner Mutter ins Gedächtnis zu rufen, doch ihm fällt nur dieser ein: »Bist du mal sauer, ist das nicht von Dauer.« Cooper will, dass Adrian ihn als Menschen wahrnimmt, damit dieser ihm nichts tut – aber das würde er sowieso nicht. Er hat sich nicht so viel Mühe gemacht, um dann das zu verletzen, was ihm am meisten bedeutet.
    Heute wird er Cooper sein Geschenk überreichen, und von da an werden sie bestimmt aufrichtiger miteinander umgehen. Das Geschenk wird den Fehler von gestern wettmachen. Es ist seine Wiedergutmachung. Vor Jahren hat er gelernt, dass man sich besser fühlt, wenn man gibt, statt zu nehmen. Genauso wird es heute sein. Da ist er sich sicher. Allerdings hat er damals gemerkt, dass es ihm auch dann gut geht, wenn er etwas nimmt. Wie das Leben dieser Katzen.
    Durch die Ostfenster scheint die Sonne und wandert langsam weiter Richtung Norden. Nachdem er sich gestern auf dem Kassettenrecorder sein Gespräch mit Cooper und etwas klassische Musik angehört hat, ist er eingeschlafen. Das Radio ist immer noch an, und es kommen die Nachrichten, ein Sprecher verliest gerade die Temperaturen. Es gab Todesopfer wegen der Hitze, Adrian versteht nicht ganz, warum. Die Leute sollen im Haus bleiben, wenn ihnen zu heiß ist, oder mehr Wasser trinken. Er schaltet das Radio aus, und ein paar Minuten später hockt er draußen und trinkt einen Orangensaft. Er für seinen Teil mag die Hitze. Er hat zu viel Zeit eingesperrt in dunklen Räumen verbracht, um sich gern im Schatten aufzuhalten. Die Bäume bilden eine natürliche Barriere zwischen ihm und der angrenzenden Weide, die Straße ist vollkommen verlassen, und es regt sich kein Lüftchen, nirgends ist ein Vogel zu sehen. Etwa einen Kilometer entfernt, auf einem flachen Hügel, erhebt sich ein dichter Wald aus alten Bäumen mit knorrigen, verdrehten Ästen. Die Luft ist stickig. Als sich eine aufdringliche Fliege auf Adrian niederlässt, schlägt er nach ihr, bis sie in seinem Orangensaft landet. Er fragt sich, was passiert, wenn Cooper sein Geschenk nicht gefällt, und er wird traurig. »Trübsal ist die Freude des traurigen Menschen«, hat seine Mutter immer gesagt. Diesen Spruch hat sie oft benutzt, doch er hat ihn nie ganz verstanden. Mit den Fingern fischt er die Fliege aus dem Glas, betrachtet sie ein paar Sekunden, dann legt er sie vorsichtig auf die Veranda. Ihre Flügel kleben zusammen. Er schiebt sie in den Schatten, damit sie nicht verbrennt.
    Schließlich geht er ins Haus, wo es ein wenig kühler ist. An den Wänden und unter der Decke hocken mehrere Fliegen – vielleicht weil im Gebäude kaum Möbel stehen, auf denen sie landen könnten. Er hat keine Ahnung, wie sie es schaffen, dort oben zu bleiben. Nachdem er in der Küche sein Glas ausgespült hat, stapft er hoch, in das Schlafzimmer neben seinem. Das Mädchen ist wach. Er nimmt einen Krug Wasser und hebt ihren Kopf an; sie saugt das Wasser mit einem Strohhalm gierig ein. Er gibt ihr zehn Sekunden, dann nimmt er den Krug fort. Sie macht Geräusche mit dem Mund; offensichtlich versucht sie, was zu sagen, doch er versteht kein Wort, und er will auch gar nichts verstehen. Er greift noch einmal nach dem Wasser, und sie trinkt erneut, dann lässt sie den Kopf sinken.
    Er hat keine Ahnung, wie attraktiv sie für Cooper sein muss, damit er das tut, was er am besten kann. Er könnte sie ein wenig schminken, nachdem er sie sauber gemacht hat, aber er weiß nicht, wie das geht. Allerdings kann es ja nicht so schwer sein.
    Als er runter in den Keller geht, steht Cooper an der Zellentür und späht durch das kleine Fenster. Die tiefstehende Sonne scheint von draußen auf die Kellertür, und für etwa eine Stunde ist es – bei geöffneter Tür – hier unten fast so hell, als gäbe es elektrisches Licht.
    »Guten Morgen, Adrian«, sagt Cooper. »Hast du gut geschlafen?«
    »Geht so«, sagt Adrian, misstrauisch über Coopers freundlichen Tonfall. Misstrauisch … und glücklich.
    »Wie schade. Was hast du heute vor?«
    »Heute kriegst du deine Überraschung. Es sind sogar zwei. Die eine muss bis heute Abend

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