Die Totensammler
war sich nicht sicher, ob der Ehemann wusste, dass sie ihn betrogen hatte, er nahm jedoch an, dass dieser eine Patrone für ihn reserviert hätte, wenn er davon erfahren hätte. Er entsprach ganz dem Klischee des ruhigen, schweigsamen Ehemanns, und Cooper verstand nicht, warum er selbst es nicht hatte kommen sehen. Das faszinierte ihn. Offenbar waren die Menschen völlig verschieden, und er wollte sie verstehen. Seine Geliebte fehlte ihm, aber er fühlte sich nicht schuldig, und das fand er ebenfalls interessant.
Jetzt, heute, muss er Adrian verstehen, und wenn er es schafft, diese Frau zu wecken, muss er ihr erklären, was hier los ist.
»Hey«, sagt er laut genug, um gehört zu werden, aber offensichtlich nicht laut genug, um von ihr gehört zu werden. Er hämmert gegen die Tür, mit demselben Ergebnis. Adrian hat gesagt, dass er in einer halben Stunde wieder da ist. Die Uhr läuft. Cooper will es in zwanzig Minuten schaffen, um auf der sicheren Seite zu sein. Er hämmert gegen das Fenster. Er will, dass das Mädchen aufwacht, und zwar sofort.
Und das tut sie.
Langsam.
Sie hat die Augen immer noch geschlossen, und ihre Hände wandern zu ihrem Gesicht hinauf und fangen an, es zu betasten. Es scheint, als würde sie aus tiefem Schlaf erwachen, vielleicht aus einem Albtraum. Ihre Haut ist rot und fleckig, ihr Gesicht glüht, abgesehen von den dunkelgrauen Ringen unter ihren Augen. Mit den Händen untersucht sie den Strohhalm, der aus ihrem Mund ragt. Sie zieht vorsichtig daran, doch er bewegt sich nicht. Erst jetzt wird Cooper klar, dass man ihr die Lippen zusammengeklebt hat. Erneut ruft er ihr etwas zu, aber sie reagiert nicht. Ja, es scheint, als hätte sie wieder das Bewusstsein verloren. Ihre Finger haben aufgehört, sich zu bewegen, und ihre Hände sind zu Boden gesunken. Auch wenn es nur zwei Minuten dauert, bis sie sich von Neuem regt, kommt es ihm wie eine Stunde vor. Sie reibt sich langsam die Augen und öffnet sie. Er kann erkennen, wie sie sich umschaut, aber sie kann sich auf nichts richtig konzentrieren. Er klopft gegen das Glas, und sie blickt in seine Richtung, ohne ihn jedoch zu bemerken.
Er hat noch achtzehn Minuten.
»Miss, hey, Miss, aufwachen, aufwachen. Bitte, wach auf.«
Er beobachtet, wie sich ihr Kiefer bewegt, als sie versucht, etwas zu sagen. Dann scheint ihr alles wieder einzufallen, und sie wird von der Wucht ihrer Erinnerung überwältigt. Ihr Gesicht spannt sich, ihre Augen werden größer, und ihre Hände tasten ihr Gesicht ab, jetzt schneller, vor allem ihre Lippen, und sie fängt an zu weinen. Sie setzt sich auf und schaut sich im Zimmer um, bevor sie den Saum ihres Kleides anhebt und mehrere Sekunden anstarrt. Schließlich richtet sie den Blick auf Cooper. Erneut bewegt sich ihr Kiefer, offensichtlich versucht sie zu schreien. Dann wendet sie sich von ihm ab, hält jedoch plötzlich inne, den Blick auf das Bücherregal gerichtet; im Schein der Lampe wirft sie einen Schatten auf die Bücher und Trophäen, und Cooper ist sich sicher, dass sie, wenn sie könnte, erneut schreien würde.
»Alles okay, alles okay«, sagt er mit erhobenen Händen, auch wenn sie ihn nicht sehen kann. »Dir wird nichts passieren. Ich werde dir helfen.«
Mit den Handflächen auf dem Boden drückt sie sich weiter von ihm fort. Da er durch das Zellenfenster blickt und ihre Lippen zusammengeklebt sind, ist es, als würde er sich eine Fernsehsendung ohne Ton anschauen.
»Bitte, bitte, ich hab nicht vor, dir wehzutun«, sagt er. »Ich bin dein Freund. Wir sitzen beide im selben Boot.«
Noch sechzehn Minuten. Vielleicht auch mehr.
Sie hockt sich auf die Knie. Sie sind wund und werden noch mehr aufgescheuert, als sie versucht aufzustehen. Sie verliert das Gleichgewicht und fällt vornüber, und Cooper kann eines ihrer Handgelenke knacken hören. Das Geräusch lässt ihn zusammenzucken. Sie fängt an zu weinen. Und eine weitere Minute verstreicht. »Bitte, kannst du die Tür öffnen?«, fragt er. »Ist da irgendwo ein Riegel? Oder ein Schloss?«
Doch sie sieht ihn nicht an. Sie legt die Arme um ihren Körper und rollt sich wie ein Baby zusammen. Sie vergeudet Zeit, und er spürt, wie er immer frustrierter wird. Ja, wütend. Er würde gerne die Zelle verlassen und sie schütteln. Sie wird ihre Chance ungenutzt verstreichen lassen und sterben, und er wird ebenfalls sterben. Wenn sie sich nur konzentrieren würde, wenn sie sich nur zusammenreißen würde … Mann, am liebsten würde er ihr eine
Weitere Kostenlose Bücher