Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
gehört.
»Major Coltrane ist sich keiner Schuld bewusst«, erklärte Robin kurz. »Er näherte sich im vollen Galopp, zudem war es Nacht. Die Reiter konnten nicht erkennen, ob sich die Saboteure auf den Gleisen bereits ergeben hatten oder nicht …«
»Sie hatten die Arme erhoben …«, bemerkte Kevin.
»Wie gesagt, wenn es so war, dann haben Major Coltrane und seine Leute das übersehen. Der Mann, den sie in den Rücken geschossen haben, befand sich doch auch mitten in einem Fluchtversuch, oder?« Robin schob Akten auf dem Tisch vor sich hin und her.
Kevin seufzte. »Der Mann hing im Stacheldraht. Wir waren noch nicht dazu gekommen, ihn daraus wieder zu befreien, aber kampffähig war er nicht mehr, und irgendeine Chance, zu entkommen, bestand auch nicht. Es war völlig überflüssig, ihn zu erschießen. Und ganz sicher war es ebenso überflüssig, dreiundzwanzig der dreißig flüchtenden Reiter zu erschießen …«
»Die Leute lieferten den Rough Riders ein Feuergefecht«, meinte einer der Beisitzer, ein Lieutenant. »Major Coltraneblieb nichts anderes übrig, als zurückzuschießen. Nachdem er sie aufgefordert hatte, sich zu ergeben, versteht sich …«
»Und dann waren sie alle tot?«, fragte Kevin. »Kein einziger Verletzter? Mein Kollege und ich haben uns die Leichen angesehen. Zum Teil schienen die tödlichen Kugeln von recht geringer Entfernung aus abgefeuert …«
Robin hob die Arme. »Dr. Drury, Sie sind doch schon monatelang hier – Sie kennen die Buren. Da kämpfen viele bis zum Tod, und so mancher unserer Soldaten hat es schon mit dem Leben bezahlt, wenn er sich über einen Verletzten beugte und helfen wollte. Da blitzt schnell ein Messer auf – also hält man die Waffe bereit, wenn man einigermaßen erfahren ist. Und feuert sie dann auch ab. Aus nächster Nähe. Den Männern unterstellen zu wollen, sie hätten gezielt Fangschüsse abgegeben …«
»… zumal Sie auch nicht dabei waren«, fügte der zweite Lieutenant hinzu.
Kevin rieb sich die Stirn. »Aber all die anderen Übergriffe, die Brandstiftungen …«
»Alles im Rahmen der Befehle der Heeresleitung«, meinte Robin. »Lord Kitcheners Strategie mag uns da nicht gefallen – ich bin sicher, dass auch Major Coltrane nicht gern Krieg gegen Frauen und Kinder führt. Aber er verhält sich völlig korrekt. Ihre Anschuldigungen sind haltlos, Dr. Drury, sehen Sie es ein!«
Kevin schluckte und nahm Haltung an. »Wie Sie meinen, Sir«, sagte er gallig. »Allerdings … ich weiß, dass es mir nicht zusteht, und wenn’s sein muss, bestrafen Sie mich, aber ich kann es mit meinem Gewissen nicht weiter vereinbaren, unter Major Coltrane …«
»Colonel Coltrane«, verbesserte einer der Lieutenants. »Major Coltrane wurde eben befördert.«
Kevin rieb sich die Schläfe. »Ich weigere mich, weiter unterColin Coltrane zu dienen«, sagte er kurz. »Versetzen Sie mich, oder sperren Sie mich ein, mir ist es gleich. Aber das kann ich nicht länger mitmachen.«
Die britischen Offiziere sogen scharf die Luft ein – während Major Robin gelassen blieb. Kevins Verhalten mochte für die britische Armee unmöglich sein, aber er hatte bei seinen Kiwis schon ganz andere Verstöße gegen die Dienstordnung erlebt. Es erschien ihm als Verschwendung, die oft tapferen und gerade in diesem Guerillakrieg unschätzbar wertvollen Renitenzler nur aus Gründen der Disziplinierung in Haft zu nehmen.
Jetzt lächelte er. »Wie’s der Zufall will, hatte ich auch selbst schon an einen anderen Posten für Sie gedacht.« Er blitzte seine Beisitzer an, als einer von ihnen aufbegehren wollte. Bis vor einer Minute war von einer Versetzung von Stabsarzt Drury schließlich nicht die Rede gewesen. Aber die kleine Improvisation bot Robin die Möglichkeit, Drurys Bitte nachzukommen, ohne ihn in seiner Renitenz zu bestärken. Wenn die Briten nur ein bisschen diplomatischer gewesen wären … »Gerade jemand wie Sie, der dem Feind gegenüber noch gewissermaßen freundliche Gefühle hegt …«
Kevin versteifte sich. »Ich will keineswegs fraternisieren …«
Robin, ein kräftiger Mann mit schon leicht ergrautem Haar, schüttelte den Kopf. »Das unterstellen wir Ihnen auch gar nicht. Im Gegenteil, wir wissen Ihr Mitgefühl vor allem für die Burenfrauen und -kinder durchaus zu schätzen. Deshalb möchte ich Ihnen auch einen Posten anbieten, auf dem Sie tätige Hilfe leisten können. Stabsarzt Drury: Sie haben von jetzt an die Leitung eines der Flüchtlingslager in
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