Die Traenen Des Drachen
weiterkamen. Dort hätten wir fast aufgegeben. Wir hockten uns auf unsere Skier und ließen den Blick über die Schlucht gleiten. Sie schien kein Ende zu haben. Fast sah es aus, als ob eine Felsenwurzel aus der Erde gerissen worden wäre, denn am Fuß der Berge verschwand sie wie eine Höhle im Fels.
In dieser Zeit reisten die Händler vorwiegend mit Schiffen, und die Wagenbrücke war noch nicht gebaut worden. Wir folgten dem Einschnitt in Richtung Meer, und als es dunkel wurde, lagerten wir an der Kante des Abgrunds. Erst spät am nächsten Tag fanden wir den Baumstamm, den die Menschen damals als Brücke benutzten. Loke schob sich rittlings über den Stamm und war als Erster auf der anderen Seite, doch er fand nichts, woran er das Seil hätte befestigen können. Vile und Bile zitterten so, dass sie fast hinuntergestürzt wären, und selbst Bul zögerte, ehe er sich auf die andere Seite schob. Ich ging als Letzter, und ich weiß noch, wie merkwürdig es war, in die Tiefe zu schauen, ohne auch nur einen Hauch von Angst zu verspüren.
Es war ein kaltes Land. Ich will nicht sagen, dass ich fror, denn die Decken und Schafsfelle, die wir vom Felsenvolk erhalten hatten, wärmten gut. Doch der Winter tat alles, was in seiner Macht stand, um uns zu quälen. Windböen und Eis, das in den Augen stach. Loke hatte mit vier Tagen bis zur Felsenburg gerechnet, doch die Reinfell hatte uns so weit nach Osten geführt, dass wir einen ganzen Tag brauchten, um an die Stelle zurückzukommen, wo uns die Klamm den weiteren Weg versperrt hatte.
Nachts sparten wir unser Holz, und ich aß gefrorene Fleischfetzen und Schnee, und tagsüber wagten wir es aus Furcht vor der Kälte nicht, zu rasten. Und da, als ich mich gebeugt und auf den Speer gestützt vorwärts kämpfte, sah ich sie, die Winddämonen. Ja, ich kann beschwören, dass der Schnee am Himmel verzerrte Gesichter bildete. Einige spotteten und lachten. Andere schrien vor Schmerz. Und die ganze Zeit über heulten sie wie sterbende Krieger auf dem Schlachtfeld.
Seither habe ich manchmal geglaubt, es könnten andere Geister gewesen sein, die dort im Himmel geweint haben. Vielleicht waren es die Geister des Lebens und der neuen Geburt. Vielleicht war es der Frühling, der dort jammerte.
Wo der Wind den Schnee weggeblasen hatte, fanden wir oft Büsche oder das, was von ihnen noch übrig war. Loke untersuchte die Zweige und zeigte mir, wo das Eis die Knospen getötet hatte. Er erklärte mir, dass die Büsche bis zur Wurzel erfroren und so stark verletzt waren, dass sie nie wieder ausschlagen würden. So etwas sollte nicht geschehen, sagte er. Der Winter sollte nicht töten. Die Pflanzen sollten im Winter schlafen und im Frühling wieder erwachen.
Doch es gab vieles, was nicht so war, wie es sein sollte. Der Wind wirbelte Schneewehen auf, die hoch wie Schiffsrümpfe und dennoch selten dicker als der Schenkel eines Mannes waren. Sie ragten wie Messer aus der Ebene auf, wuchsen höher und höher, bis der Wind seine Richtung wechselte und sie zu einem Schleier aus Eis wurden, der die Gesichter am Himmel verzehrte. Wir wanderten durch Portale aus Schnee und rutschten über Schrägen, auf denen das Eis zusammengepresst und hart wie Eisen war. Loke erklärte mir das alles auf unserem Weg. Der ewig währende Winter war dabei anzubrechen. Es roch nach dem Sieg über den Frühling, und bereits jetzt breiteten sich die eisigen Arme über das Land aus und formten es, wie sie es schon immer gewollt hatten. Loke sprach über Götter mit allerlei merkwürdigen Namen. Visminen, das Tier, würde als Erster kommen, den Schnee durchwühlen und alles Lebendige auffressen. Varen würde die Berge mit seinen eisigen Händen einreißen, und schließlich würde sein Bruder, Vossen, sein Eisschwert in die Meere stechen und sie bis zum Grund gefrieren lassen.
Ich verstand nicht, warum wir uns nicht einfach hinhockten und auf diese schrecklichen Wesen warteten, doch am Abend des sechsten Tages sahen wir fern am Horizont etwas Graues. Das war keine Schneewehe, kein Eisportal. Das war die Felsenburg. Durch das Schneegestöber erkannte ich die Lichter des Kretterlagers und die Fackeln in den Felsen. Das Felsenvolk leistete noch immer Widerstand. Ich spürte eine Wärme in der Brust, doch ich wusste nicht, ob es Freude oder Furcht war.
Wir gruben uns im Schnee ein und versteckten uns, so gut es ging. Die letzten Holzscheite brannten, als Loke erklärte, was ich nur zu gut wusste.
»Jetzt gilt es,
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