Die träumende Welt 02 - Das Schattenreich
eilen konnten. Die drei >Schausteller< befanden sich vermutlich draußen bei den übrigen aus dem Clan. Sie würden alles für sie tun, doch gegen Männer mit Schwertern kamen sie nicht an. Und ihre eigene >Zauberkraft<, die sie mittlerweile akzeptieren konnte, schien ihr auch nicht geeignet. Was konnte sie schon tun? Hier gab es kein Gruppenbewusstsein wie bei den wilden Hunden, das sie beeinflussen konnte. Cai konnte ihr nicht helfen, und ihre Fähigkeiten als Heilerin waren wohl kaum gefragt. Und welche anderen Mittel hatte sie?
Eine kleine Stimme ganz hinten in ihrem Kopf erinnerte sie daran, dass sie eine attraktive Frau war. Ließ sich das vielleicht in einen Vorteil ummünzen? Schließlich waren diese Männer schon eine ganze Weile unterwegs und hatten wenig >Zerstreuung< gehabt. Sie schreckte instinktiv vor dem Gedanken zurück, fragte sich aber, ob sich der Ekel, den sie dabei empfand, vielleicht verdrängen ließ, wenn es die einzige Möglichkeit war, ihr Leben zu retten.
Ihre Gedanken wurden von einem Rascheln unterbrochen, als die Zeltklappe geöffnet wurde und ein Mann hereinkam. Ihr Herz setzte vor Schreck aus, doch dann hörte sie Daceys Stimme und atmete erleichtert auf.
»Zeit für deine Wache, Gerard«, sagte er.
»Schon?« murrte eine schläfrige Stimme. Es folgten die Geräusche, die jemand beim Aufstehen und Ankleiden macht.
»Hat sie Schwierigkeiten gemacht?« erkundigte Dacey sich leise.
»Nicht einen Mucks«, antwortete der andere. Er ging hinaus, und Gemma hörte, wie die Zeltklappe wieder festgebunden wurde. Für eine Weile blieb alles ruhig, und sie hatte den Eindruck, dass Dacey, ebenso wie sie, angestrengt lauschte. Als er das Schweigen schließlich brach, zuckte sie nervös zusammen.
»Gemma? Bist du wach?« flüsterte er.
Sie nickte, dann fiel ihr ein, dass er sie nicht sehen konnte, und antwortete, »Ja.«
»Du musst fort«, sagte Dacey voller Dringlichkeit, und Gemmas Herz setzte einen Schlag aus. Hatte sie in ihm tatsächlich einen Verbündeten gefunden?
»Warum?« flüsterte sie zurück. Sie hatte Mühe, ihre Stimme zu kontrollieren. Die Trennwand bewegte sich, und im Schlitz erschien sein Gesicht. Selbst in dem schwachen rötlichen Schein konnte Gemma sehen, dass er Angst hatte.
»Der Trick mit dem Wein war sehr komisch«, meinte er, »trotzdem war es ein Fehler. Früher oder später werden sie dahinterkommen, dass du das den Meyrkats unmöglich beigebracht haben kannst. Yarat und Wray werden dein Blut wollen - sie mögen dich nicht besonders ...«
»Das habe ich gemerkt.«
»Und Aric kann sie nicht ewig zurückhalten.«
»Wieso nimmt er mich in Schutz?« wollte sie wissen.
»Ich weiß es nicht.«
»Wo wir gerade dabei sind«, fragte Gemma, »warum erzählst du mir das alles?«
Er zögerte, und in der Stille hörten sie draußen Fußschritte. Dacey legte einen Finger an die Lippen, während sie darauf warteten, dass der Posten weiterging. Dann setzten sie ihre geflüsterte Unterhaltung fort.
»Ich kann es nicht erklären«, meinte er. »Es ist besser, wenn du den Grund nicht kennst.« Überall lauerte Gefahr, und sie hatte keine Wahl, als dem jungen Mann zu ver trauen. Schließlich hätte er sie längst verraten können, wenn das sein Absicht gewesen wäre. Außerdem ging er sicher ein Risiko ein, wenn er so mit ihr redete.
»Ich versuche dir zu helfen«, fuhr er fort, »aber meine Hilfe hat Grenzen.«
Gemma nickte, sie war vor Angst wie betäubt.
»Dacey!« Sie erstarrten, als draußen Gerards Stimme erschallte. »Wo hast du das Wasser gelassen?«
»Neben dem Vorratszelt!« rief er zurück. Seine Stimme klang übertrieben laut. Er ließ die Trennwand zurückfallen. Ein wenig später erschien er wieder, gab ihr aber ein Zeichen, sie solle still sein.
»Sie sitzen direkt vor dem Zelt«, hauchte er tonlos, hielt zwei Finger in die Höhe und zuckte hilflos mit den Achseln. Im Augenblick konnten sie nichts weiter tun, also zog er sich wieder zurück.
Schlafen war unmöglich, trotzdem versuchte Gemma, sich zu entspannen und ein wenig Ruhe zu finden. Ein Dutzend Fluchtpläne gingen ihr durch den Kopf, doch sie alle waren so weit hergeholt, dass ihre Enttäuschung beständig wuchs - es schien aussichtslos. Sie fing an zu verzweifeln und musste sich selbst gut zureden, um nicht in Panik zu geraten. Ich schlage mich immer irgendwie durch. Das hat Arden selbst gesagt, also muss es stimmen. Der Gedanke weckte erneut die Sehnsucht nach ihm und bestärkte sie noch in
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