Die Triffids: Roman - Mit einem Vorwort von M. John Harrison (www.Boox.bz)
überzeugt. Wir können tun, was er vorschlägt. Könnten einige, aber nur einige der Blinden, mit Nahrung versorgen. Einige Tage lang, vielleicht ein paar Wochen. Und dann? Was dann?«
»Aber es kommt mir so furchtbar vor, so herzlos …«
»Wir haben, soviel ich sehe, nur eine Alternative«, erklärte ich. »Entweder versuchen wir zu retten, was zu retten ist – also uns selbst; oder wir bemühen uns, das Leben der Blinden etwas zu verlängern. Das sind, nüchtern betrachtet, unsere Möglichkeiten.
Aber mir ist auch klar, dass der humanere Weg wahrscheinlich eine Art Selbstmord ist. Wir verlängern das Elend von Menschen, von denen wir wissen, dass wir sie am Ende doch nicht retten können. Ist das der beste Gebrauch, den wir von unserem Leben machen können?«
Sie nickte langsam.
»So betrachtet, scheinen wir gar keine Wahl zu haben. Fragt sich noch, wen sollen wir retten? Dürfen wir das bestimmen? Und wie lange wird es überhaupt möglich sein, sie zu versorgen?«
»Das ist schwer zu sagen«, antwortete ich. »Ich habe keine Ahnung, wie hoch der Prozentsatz an nicht voll Arbeitsfähigen sein darf, wenn einmal die sofort greifbaren Vorräte erschöpft sind. Ich glaube, hoch wird man ihn nicht ansetzen dürfen.«
»Du hast dich schon für eine Alternative entschieden«, stellte sie mit einem Blick auf mich fest. War etwas wie Vorwurf in ihrem Ton? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
»Versteh mich recht«, sagte ich. »Mir missfällt das alles nicht weniger als dir. Ich habe nichts weiter getan, als die Möglichkeiten nüchtern darzustellen. Helfen wir den Überlebenden der Katastrophe, wieder eine Art Leben aufzubauen? Oder entscheiden wir uns für die moralische Geste, die nach der Lage der Dinge kaum mehr sein kann als eine Geste? Die Leute da drüben haben offenbar ihre Entscheidung schon getroffen.«
Sie scharrte mit den Fingern auf dem Boden und ließ Erde durch die Hand rieseln.
»Ich glaube ja, dass du recht hast«, sagte sie. »Aber du hast auch recht, wenn du sagst, dass es mir missfällt.«
»Gefallen oder Missfallen haben aufgehört, entscheidende Faktoren zu sein«, bemerkte ich.
»Vielleicht. Aber ich habe nun einmal Bedenken gegen alles, was mit Schüssen beginnt.«
»Es waren Warnschüsse – und sie haben wahrscheinlich ein Blutvergießen verhütet«, entgegnete ich.
Die Menge hatte sich inzwischen völlig verlaufen. Ich kletterte über die Mauer und half Josella beim Heruntersteigen auf der anderen Seite. Ein Mann beim Tor öffnete und ließ uns ein.
»Wie viele seid ihr?«, fragte er.
»Nur wir zwei. Wir haben euer Signal gestern Nacht gesehen«, erklärte ich.
»Okay. Kommt mit zum Oberst.« Er führte uns über den Vorhof.
Der Oberst hatte sein Quartier in einem kleinen Raum unweit des Eingangs, offenbar in der Portierloge, aufgeschlagen. Er mochte an die fünfzig sein, ein rundlicher Herr mit dichtem, kurz geschnittenem grauem Haar. Der Schnurrbart streng militärisch, jedes einzelne Haar gleichsam in Reih und Glied. Seine Gesichtsfarbe war so rosig, gesund und frisch wie bei einem viel jüngeren Mann; später entdeckte ich, dass auch sein Geist nicht seinem Alter entsprach. Er saß an einem Tisch, auf dem Schreibpapier in mathematisch genau gekanteten Stapeln bereitlag, vor sich ein großes, sauberes Löschblatt.
Als wir eintraten, musterte er uns, einen nach dem anderen, mit einem scharfen, prüfenden Blick, den er etwas länger als nötig verweilen ließ. Ich kannte diese Technik. Sie soll andeuten, dass man einen guten Menschenkenner vor sich hat, dem man nichts vormachen kann, der einen durchschaut, aber auch volles Vertrauen verdient. Am besten erwidert man diesen Blick mit einem von gleicher Qualität, der beweist, dass man ein »tüchtiger Bursche« ist. Das tat ich. Der Oberst nahm die Feder in die Hand.
»Die Namen, bitte?«
Wir nannten sie.
»Und die Adressen?«
»Ich sehe zwar nicht ein, was sie unter den gegenwärtigen Umständen nützen können«, wandte ich ein, »aber wenn Sie sie brauchen …« Wir gaben sie ihm.
Er schrieb sie auf, etwas von System, Organisation und Verwandten murmelnd. Alter, Beschäftigung und alles Übrige folgten. Er sah uns nochmals prüfend an, versah jedes Blatt mit einer Notiz und reihte es in eine Kartei ein.
»Ich brauche tüchtige Leute. Scheußliche Sache das. Gibt aber viel zu tun hier. Viel. Mr. Beadley wird Ihnen sagen, was.«
Wir kehrten in die Einfahrt zurück. Josella kicherte.
»Er hat vergessen, nach
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