Die Trolle
in Ionnas Feste zu sich gekommen.
Ein leises Gespräch, das Prasseln des Feuers, aber auch die Schmerzen in seiner Seite, all das war nur gedämpft und wie aus weiter Ferne zu ihm gedrungen. Der Heiler, ein mürrischer alter Mann, der ungern viele Worte machte, hatte ihm einen bitteren Kräutertrank eingeflößt, der seine Gedanken hatte schwer werden lassen. Bevor er wieder eingeschlafen war, hatte er jedoch Viçinia erblickt, die ihn beruhigend angelächelt hatte.
In den folgenden Wochen, die er auf dem Krankenlager verbracht hatte, hatte er Viçinia besser kennen und noch mehr lieben gelernt. Dabei hatte er festgestellt, dass sie nicht nur ebenso unnachgiebig wie ihre Schwester sein konnte, sondern auch über einen feinen Spott verfügte, mit dem sie sein Herz wie mit feinen Nadelstichen getroffen hatte. Aber wenn er in ihre Augen geblickt hatte, hatte er dort endlich einen Spiegel seiner eigenen Gefühle zu entdecken geglaubt. Und dann hatte er davon erfahren müssen, dass sie als Geisel nach Teremi gehen sollte.
Stens Blick streifte den Horizont. Bald würde die Sonne untergegangen sein. Die Erinnerung an den Abschied von Viçinia war noch immer so frisch, als wäre sie eben erst gegangen … Das erste Licht des Tages hatte die Zinnen in ein blutiges Rot getaucht. Es roch nach dem nassen Laub, das über Nacht auf den Steinboden gefallen war, und nach dem Rauch der Holzfeuer, der aus den Häusern emporstieg. Der Schnee war in diesem Jahr zu früh gekommen; weiße Flocken wirbelten durch die kalte Luft auf dem Wehrgang, wo Sten mit Viçinia stand.
»Ich hoffe, es ist nicht noch kälter im Norden«, meinte sie mit einem Schaudern. Ein weiter Mantel aus schwerem blauem Stoff hüllte sie ein, und Sten konnte unter der weiten Kapuze kaum ihre Züge erkennen. Er hatte nicht viel Zeit, um das in Worte zu kleiden, was er ihr so dringend sagen wollte. Im Hof wartete bereits ihre Eskorte, um sie sicher nach Teremi zu geleiten. Im Stillen verfluchte er die Krieger, die auf ihre Rückkehr harrten. Und sich selbst, weil es ihm so schwer fiel, sich auszudrücken. Bei allen Geistern, lieber hätte er in diesem Augenblick gegen ein halbes Dutzend Masriden gekämpft.
»Du wolltest mich sprechen?«, fragte sie sanft, als er einige Augenblicke schweigend verstreichen ließ.
Er schluckte. »Ich … ich habe mich noch nicht bei dir dafür bedankt, dass du mich gerettet hast«, begann er vorsichtig.
Er ahnte ihr Lächeln mehr, als dass er es sah. »Wenn du dich unbedingt bedanken willst, dann lieber bei Cartareu. Er hat dich mit seinen Mixturen am Leben erhalten.«
Bei der Erinnerung verzog Sten angeekelt das Gesicht. »Zwischenzeitlich habe ich mich gefragt, ob es das wert ist«, meinte er leichthin. Viçinia musste lachen, und mit einer Handbewegung strich sie sich die Kapuze aus der Stirn. Jetzt konnte Sten ihr direkt in die dunklen Augen sehen, aber das machte es ihm nicht leichter.
»Du wirst mir fehlen, wenn …«, begann er, doch sie hob abwehrend die Hand.
»Nicht, Sten. Bitte, tu nicht so, als ob du mich nie wiedersehen würdest«, sagte sie eindringlich.
»Ich werde dich wiedersehen«, erwiderte er schnell. »Du wirst nicht für immer in Teremi bleiben. Dafür werde ich sorgen.«
Diese Worte ließen sie wieder lächeln. »Gut. Meine Schwester braucht dich jetzt dringender als jemals zuvor. Wenn das Frühjahr kommt, müsst ihr für einen neuen Angriff gewappnet sein. Ihr dürft euch nicht davon aufhalten lassen, was an Zorpads Hof geschieht. Vergiss das nicht.«
Er nickte, obwohl er ihr nicht zustimmen konnte.
»Leb wohl, Sten.« Mit diesen Worten wandte sie sich einfach zum Gehen und ließ ihn oben auf den Zinnen zurück. Erst im Hof drehte sie sich noch einmal um und hob die schmale, weiße Hand, um ihm zu winken.
Ohne darüber nachzudenken, zog er die Lederhandschuhe aus, die er getragen hatte, und warf sie zu ihr hinunter.
»Falls es im Norden noch kälter ist.«
Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, da sie die Kapuze wieder aufgesetzt hatte, aber sie fing die Handschuhe geschickt auf.
»Sichere Wege, Viçinia«, rief er ihr hinterher, aber er vermochte nicht zu sagen, ob sie ihn noch gehört hatte.
Sten wandte den Blick zum Himmel. Die Wolken waren näher gekommen. Damals hatte er sich verflucht, weil er nicht den Mut gehabt hatte, einfach vor ihr auf die Knie zu gehen und ihr zu gestehen, was er fühlte. Und seitdem war sie in Zorpads Hand. Die Monde nach ihrem Abschied waren furchtbar für ihn
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