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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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nicht wehrt«, sagte Wachs. »Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Installieren Sie hier ...«, er deutete mit zittrigem Zeigefinger auf die Mauer neben dem Türrahmen, »... eine Sprechanlage mit Videoauge. So eine Gesichtskontrolle wirkt wahre Wunder bei derartigen Leuten.«
    Während sie sich ins Haus begaben, erläuterte Wachs, was es mit seinem Einstandsgeschenk für eine Bewandtnis hatte. Daß man Urgemüse um Gottes willen nicht mit sogenanntem Biogemüse verwechseln dürfe, weil das Saatgut des letzteren in Wahrheit ebenfalls einer massenproduktionstauglichen Selektion unterliege, daß Tomaten, wie man sehe, in ihrer ursprünglichen Form klein, oval und bisweilen krumm und schief seien, aber dafür mehr Säure enthielten, was den typischen Tomatengeschmack ausmache, und daß der Mensch von heute durch die diversen chemischen Aromastoffe um den wahren Geschmack eines Nahrungsmittels betrogen werde, was eine Schande sei. Ali hörte ihm gar nicht richtig zu, weil er das alles ja schon von früher kannte. Und das Merkwürdigste dabei war, daß Wachs seinen verbalen Feldzug gegen die Geschmacksverstärkerindustrie ohne rechten Enthusiasmus vortrug, irgendwie herunterleierte, als wäre er ein würdiger Geschichtslehrer, der den Schülern zum fünfzigsten Male den Gallischen Krieg nahebrachte. War er immer schon so gewesen? So langweilig? Ein Tomatenprediger ohne Feuer und Pfiff? Ali konnte sich entsinnen, daß er seinerzeit von Wachs' eigentümlichen Ansichten beeindruckt gewesen war, nicht zuletzt wegen der Begeisterung, mit der er sie vorgetragen hatte. Nun aber war davon überhaupt nichts mehr zu spüren. Er tat diesen Umstand damit ab, daß das sattsam Bekannte nun einmal keine intensive Gefühlsaufwallung mehr zu erzeugen vermag, auch wenn es seine Richtigkeit und Aktualität beibehält. Dennoch sagte ihm eine innere Stimme, nicht die Sache an sich war alt und eintönig geworden, sondern Anton Wachs.
    Nach mehreren Zwischenstops zwecks Einführung in die Urgemüsematerie erreichten die beiden Männer die Küche. Und zumindest Ali fühlte sich wie im Elysium angekommen. Die Sonne flutete durch die Glasfassade derart scharf in den Raum, daß jedes Möbelstück, jedes der chromglänzenden Geräte, jedes Geschirrstück wie von innen erleuchtet strahlte. Die Türen waren geöffnet, und die Wärme und der Geruch des Frühlings hatten alle Winkel okkupiert wie heimgekehrte Zugvögel. Der antike Tisch bordete über von Frühstücksdelikatessen, wegen deren regelmäßiger Anschaffung der Feinkosthändler um die Ecke die Seichtems jahrelang so geschätzt, und als diese auszogen, wohl an Geschäftsaufgabe gedacht hatte. Ein Zeichen, daß Ida früh aufgestanden sein mußte. Das Ganze sah aus wie in einem Werbeprospekt für ein Sechssternehotel. Das vorhin wahrgenommene verlockende Aroma intensivierte sich nun, und ließ sich gleichzeitig in seine Bestandteile zerlegen: Lachs, Kaviar, Papaya, Mango, französischer Ziegenkäse, É clairs - Köstlichkeiten aus aller Welt. Doch kein einziger zynischer Gedanke wollte sich Ali angesichts der Diskrepanz zwischen dieser Dekadenz und dem dafür aufgebrachten Blutzoll aufdrängen, nein, er empfand Dankbarkeit, tiefe Dankbarkeit. So wollte er fortan immer leben, bis zu seinem Ende! Und sein wiedergewonnener zittriger Freund würde ihn dabei beschützen.
    Ida, die sich pietätloserweise ein pastellfarbenes, gelbes Sommerkleid der jungen Ida übergestreift hatte, das ihr immer noch paßte, begrüßte Wachs eine Spur zu herzlich, als daß man den Eindruck hätte gewinnen können, sie lernte gerade einen vollkommen Fremden kennen. Und auch im Verlauf des weiteren Vormittags gab sie sich wenig Mühe vorzutäuschen, daß sie erst gestern den Sprung in dieses Milieu geschafft habe, sondern sprach wie eine Expertin über die architektonischen Finessen von Gründerzeitgebäuden im allgemeinen und die Luxusprobleme mit Auslandsimmobilien im besonderen. Sie scherte sich kein bißchen darum, wenigstens den Anschein einer Anwärterin auf die hiesige Gesellschaft zu vermitteln, sondern tat so, als gehöre sie schon seit Jahren dazu. Was in einem verdrehten Sinne freilich auch der Wahrheit entsprach. Ansonsten legte sie ein Verhalten an den Tag, als sei sie in der Nacht selbst von einer Doppelgängerin übernommen worden, denn ihre hysterisch heitere Laune und ihr Gegacker bei jedem noch so schwachen Witzchen ließen kaum die Vorstellung von einer mit Messer und Hacke bewehrten Frau aufkommen, die sie

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