Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
die Gräuel des Nanking-Massakers nachgestellt worden waren. Satakes Sumpf. Diese entsetzliche Vergangenheit war es also, die sich dort unten verborgen hielt.
»Ach, grauenvoll!« Lì-huá zog finster die in großen Bögen aufgemalten Brauen zusammen. »Wie eine Bestie muss er sich aufgeführt haben. Die Kleider hat er ihr vom Leib gerissen, sie endlos geschlagen und vergewaltigt, bis sie bewusstlos war, um ihr dann ein paarmal das Messer in den Bauch zu stoßen, damit sie wieder wach würde. Den blutüberströmten Körper hat er danach weiter vergewaltigt. Die Leiche der Frau soll blau von Blutergüssen gewesen sein und kaum noch Zähne im Mund gehabt haben, so schrecklich muss er sie zugerichtet haben. Sogar der alteYakuza war offenbar so entsetzt darüber, dass er Satake-san fallen gelassen hat.«
Anna stieß einen langen Schrei aus. Irgendwann war Lì-huá plötzlich nicht mehr da. Nur noch der Zwergpudel stand mit schief gelegtem Kopf neben ihr, wedelte mit seinem winzigen Schwanz und schaute verwundert zu ihr hoch.
»Ach, Juwelchen!«, wandte sich Anna verzweifelt an den Hund, der in freudiger Reaktion auf ihre Stimme bellte. Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sie ihn gekauft hatte. Sie war zur Tierhandlung gegangen, weil sie etwas um sich haben wollte, das ihr Herz erfreute. Sie wählte das niedlichste Geschöpf aus, das sie da hatten. Nichts anderes hatte Satake getan. Es gab Männer, begriff Anna, die sich aus demselben Grund eine Frau wünschten, aus dem sie sich den Hund gewünscht hatte. Und auch, dass sie Satake nicht mehr bedeutete, als ihr das Hündchen bedeutete. Er fand sie süß und niedlich, so wie sie Juwelchen süß und niedlich fand. Zu Satakes Sumpf würde sie niemals vordringen können. Anna brach in Tränen aus.
4
Vier Tage, nachdem der Fall in der Presse Schlagzeilen gemacht hatte, erschien ein Kriminalbeamter bei Masako zu Hause.
Da die Polizei bereits in der Lunchpaket-Fabrik gewesen war und routinemäßige Fragen gestellt hatte, war Masako auf einen solchen Besuch vorbereitet. Dass sie Yayoi von allen Kolleginnen am nächsten stand, war dort schließlich kein Geheimnis. Aber es würde niemals herauskommen, dass sie Kenji im Bad dieses Hauses zerlegt hatten, davon war Masako fest überzeugt. Sie wusste ja selbst nicht einmal, warum sie Yayoi geholfen hatte – wie sollte da ein Fremder ihr Motiv ergründen können? Masako war zuversichtlich.
»Verzeihen Sie, dass ich Sie so kurz nach der Arbeit störe, Sie sind sicher müde. Es wird auch nicht lange dauern.«
Es war der jüngere der beiden Beamten, die auch schon in der Fabrik gewesen waren; er hieß Imai. Offenbar wusste er über das Schichtsystem Bescheid, denn die Entschuldigung für sein Erscheinen am Vormittag klang aufrichtig. Masako sah auf die Uhr: Es war erst kurz nach neun.
»Das macht nichts. Ich habe noch genügend Zeit, zu schlafen, wenn Sie wieder fort sind.«
»Ich danke Ihnen. Sie haben ja einen sehr unnatürlichen Tagesrhythmus, leidet Ihre Familie nicht darunter?«, nutzte Imai Masakos Offenheit, um sofort auf den Punkt zu kommen. Er war jung, aber sie durfte ihn auf keinen Fall unterschätzen. Masako war gewarnt.
»Das hat sich eingespielt, wir sind alle daran gewöhnt.«
»Schön und gut, aber machen sich Ihr Mann und Ihr Sohn denn keine Sorgen, wenn Sie die ganze Nacht nicht zu Hause sind? Als Mutter sind Sie doch das Herzstück der Familie.«
»Tja, ich weiß nicht recht...« Ob man sie als Herzstück dieses Hauses bezeichnen konnte? Masako lächelte bitter, während sie Imai ins Wohnzimmer führte.
»Natürlich machen sie sich Sorgen. Männer sind so. Wir machen uns Sorgen, wenn eine Frau die ganze Nacht außer Haus ist, keine Frage«, beharrte Imai stur. Masako setzte sich ihm direkt gegenüber an den Esstisch, ohne auch nur Anstalten zu machen,
ihm Tee oder dergleichen anzubieten. Für sein Alter vertritt der Kriminalbeamte ja ziemlich konservative Ansichten, dachte sie. Dass Masako womöglich anderer Auffassung sein könnte, schien ihm erst gar nicht in den Sinn zu kommen. Lässig legte er sein beigefarbenes Jackett, das er in der Hand gehalten hatte, auf dem Stuhl neben sich ab. Er trug ein weißes Polohemd.
»Haben Sie die Entscheidung, nachts arbeiten zu gehen, im Einverständnis mit Ihrem Mann getroffen, Frau Katori?«
»Einverständnis? Wieso? Er war besorgt, ob diese Arbeit nicht zu hart für mich wäre, aber...« Das war eine glatte Lüge. Yoshiki hatte sich überhaupt nicht zu ihrer
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