Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
gehabt hätte, mit dem sie sich gut verstand, wäre es wohl nie so weit gekommen. Imai zog genau die falschen Schlüsse aus seinen richtigen Überlegungen.
»Tja, wenn Sie das sagen...« Imai schien sich immer noch nicht von seinem Verdacht lösen zu können und blickte unzufrieden auf seine Notizen. Masako stand auf, holte Gerstentee aus dem Kühlschrank und füllte ein Glas damit. Imai bedankte sich, als sie es ihm reichte, und trank es in einem Zug aus. Sein Adamsapfel bewegte sich auf und ab. Masako musste an Nobukis Adamsapfel und den der Leiche denken. Sie starrte eine Weile darauf, um dann langsam den Blick abzuwenden.
»Ich muss Ihnen nun die üblichen Routinefragen stellen: Wo waren Sie am Dienstagabend vergangener Woche, und was haben Sie am Mittwoch von morgens in der Früh bis etwa zur Mittagszeit
gemacht?« Imai räusperte sich, nachdem er sein Glas auf dem Tisch abgestellt hatte, und sah Masako an.
»Ich bin wie immer zur Fabrik gefahren. Yayoi war auch dort. Ich habe wie gewöhnlich die Nachtschicht gemacht und bin zur üblichen Zeit nach Hause zurückgekommen.«
»Aber Sie sind später als sonst an Ihrem Arbeitsplatz angekommen, nicht wahr, Frau Katori?«, eröffnete Imai ihr mit Blick in sein Notizbuch wie nebenbei. Sie war in jener Nacht erst unmittelbar vor Schichtbeginn an der Stechuhr gewesen, das wusste er also. Masako hatte nicht damit gerechnet, dass sie bis in solche Details hinein ermitteln würden. Sie fühlte sich ertappt und wurde nervös, schaffte es aber, mit unbewegter Miene zu nicken.
»Ja, das mag sein. Auf den Straßen war viel Verkehr, und ich hatte mich etwas verspätet.«
»Ah ja. Sie fahren von hier aus sicher mit dem Auto nach Musashi-Murayama, nicht wahr? Handelt es sich um den Corolla, der draußen vor der Tür steht?« Imai wies mit dem Kugelschreiber in seiner Hand Richtung Eingang.
»Ja, so ist es.«
»Fährt sonst noch jemand aus der Familie mit diesem Wagen?«
»Nein, nur ich.« Sie hatte den Kofferraum zwar gründlich gereinigt, aber die Spurensicherung der Polizei würde eventuell doch etwas finden können. Masako zündete sich eine Zigarette an, um ihre Unruhe zu verbergen. Glücklicherweise zitterten ihre Hände nicht.
»Was haben Sie am nächsten Tag nach Schichtende gemacht?«
»Nun, ich bin kurz vor sechs nach Hause gekommen. Dann habe ich das Frühstück vorbereitet und mit der Familie zusammen gegessen. Nachdem mein Mann und mein Sohn aus dem Haus waren, habe ich Wäsche gewaschen, geputzt und so weiter. Kurz nach neun bin ich dann ins Bett gegangen, alles ganz wie immer.«
»Haben Sie zwischendurch irgendwann mit Frau Yamamoto gesprochen?«
»Nein, nachdem ich sie in der Fabrik gesehen hatte, nicht mehr.«
Da plötzlich hallte eine Stimme durchs Wohnzimmer, mit der Masako im Leben nicht gerechnet hätte:
»Hat Frau Yamamoto nicht an dem Abend hier angerufen?«
Völlig überrumpelt drehte sie sich um: In der Tür zum Wohnzimmer
stand Nobuki. Masako war vom Klang seiner Stimme wie vor den Kopf gestoßen. Er war an diesem Morgen noch nicht heruntergekommen; sie hatte ihn in Ruhe gelassen und mittlerweile ganz vergessen, dass er noch im Haus war.
»Wer ist das bitte?«, fragte Imai in ruhigem Ton.
»Mein Sohn.«
Nachdem er Nobuki zur Begrüßung kurz zugenickt hatte, schaute er interessiert zwischen Masako und ihrem Sohn hin und her und fragte dann: »Und um wie viel Uhr ungefähr hat Frau Yamamoto hier angerufen?«
Masako antwortete nicht, sondern starrte benommen in Nobukis Gesicht. Das waren also die ersten Worte gewesen, die sie seit fast einem Jahr aus dem Mund ihres Sohnes zu hören bekam! Ausgerechnet zu diesem Telefonat musste er etwas sagen! Das hatte er aus Rache gemacht, einen anderen Grund konnte sie sich nicht vorstellen. Aber warum? Was hatte sie ihm getan?
»Der Anruf, Frau Katori«, wiederholte Imai, »wann war das ungefähr? Frau Katori?«
Masako kam wieder zu sich. »Entschuldigen Sie. Es ist nur so lange her, seit ich ihn habe reden hören.«
Als sich das Gespräch ihm zuwandte, zog Nobuki missmutig die Schultern hoch und wollte schon den Raum verlassen.
»Warte, was hast du damit gemeint?«
»Ach, gar nichts!«, schnauzte Nobuki, schlug die Wohnzimmertür hinter sich zu und rannte aus dem Haus.
»Ich muss mich für sein Benehmen entschuldigen, Herr Inspektor. Seitdem er von der Oberschule verwiesen wurde, hat er zu Hause kein Wort mehr gesprochen«, erklärte Masako in mütterlich entschuldigendem Tonfall.
»Ach so.
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