Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
aber der dicken, hellhäutigen Kuniko stand er nicht, er machte ihr Gesicht blass und düster. Die Lippen sprangen zu sehr hervor. »Er steht Ihnen wirklich gut«, hatte die Verkäuferin sich bei ihr eingeschmeichelt, als sie ihn im Laden ausprobiert hatte. Zu dumm aber auch, dass sie sich hatte beschwatzen lassen! Immerhin viertausendfünfhundert Yen hatte sie in der Parfümerie gelassen.
Kuniko bereute ihren Kauf. Für diese Farbe hätte es auch ein billiger Lippenstift für achthundert Yen aus dem Supermarkt getan. Sie ärgerte sich maßlos. Aber da kam ihr der Gedanke, dass ihr der Lippenstift vielleicht stehen könnte, wenn sie eine andere Foundation wählte. Besessen von dieser Idee, schlug sie hastig das
Make-up-Special einer Frauenzeitschrift auf und vertiefte sich in die Seiten. Ja, genau: Sie würde sich neue Foundation kaufen, und auch gleich ein Paar neue Stiefel, nahm sie sich vor.
Um ihre Begierde zu befriedigen, kaufte sie ein, und die eingekauften Waren erzeugten immer neue Konsumwünsche, bis der Inhalt ihres Lebens nur noch aus Hinterherlaufen bestand: ein endloses Fangenspielen, in dem Kuniko sich verlor.
Als sie sich fertig geschminkt hatte, zog sie den neuen violetten Pullover über und probierte dazu den schwarzen Rock. Wenn sie darunter eine schwarze Strumpfhose trug, wirkte sie wesentlich schlanker als sonst, fiel ihr auf. Mit Hingabe posierte Kuniko eine Weile vor dem Spiegel, bis etwas tief im Innern ihr plötzlich einen Stich versetzte.
Ein Mann, sie wollte einen Mann! Wann hatte sie das letzte Mal Sex gehabt? Kuniko griff hastig nach dem kleinen Kalender von Mister Minit. Tetsuya war Ende Juli abgehauen. Seitdem, das hieß also, seit über drei Monaten war nichts mehr gelaufen. Mit einem Mann zusammen zu sein, selbst wenn er so blöd war wie Tetsuya, hatte durchaus seine Vorteile gehabt. Plötzlich zu Tode betrübt, warf sich Kuniko, angezogen wie sie war, auf das mit Kleidungsstücken übersäte Bett.
Jetzt hatte sie sich extra so schick gemacht, da wollte sie auch von irgendjemandem Komplimente bekommen. Sie wollte umarmt, sie wollte genommen werden. Natürlich nicht von einer Witzfigur wie Tetsuya, sondern von einem richtigen, starken Mann. Das konnte ein Grabscher sein oder irgendein dahergelaufener Kerl für eine Nacht, egal, Hauptsache ein richtiger Mann. Rasend schnell schwoll Kunikos Lust ins Unermessliche und machte ihr schwer zu schaffen.
Kaum hatte sie ihre Konsumwünsche einigermaßen befriedigt, quälten sie nun diese Gelüste. Und auf dieselbe Weise, wie ihre ungezügelte Fantasie eine Menge widersinnigen Argwohn erzeugte oder der Kauf eines Artikels sie zu immer neuen Konsumwünschen verführte, blähte sich bei Kuniko auch die Fleischeslust zu unguten Ausmaßen auf.
Sie musste an Kazuo Miyamori denken. Er schien zwar etwas jünger zu sein als sie, aber das hübsche Halbblut gefiel Kuniko schon seit längerem. Seine Figur war auch nicht zu verachten.
Und als sie ihm vor kurzem mit Yoshië zusammen die Kuverts mit dem Geld von Yayoi anvertraut hatte, war er doch ganz locker und freundlich gewesen. Er wohnte im Wohnheim mit einem Zimmerkameraden zusammen, also – davon war Kuniko felsenfest überzeugt – musste er ja geradezu nach einer Frau lechzen. Sie beschloss, Kazuo anzusprechen, wenn sie ihm heute Nacht in der Fabrik begegnete. Ja genau, das würde sie tun. Kuniko, die sich immer rasch erholte, solange sie noch Geld in der Tasche hatte, erhob sich frischen Mutes vom Bett.
Kuniko schloss die Wagentür auf. Die rote Lederjacke trug sie über dem Arm, um den violetten Pullover auch zur Geltung kommen zu lassen. Heute wollte sie mit geschlossenem Verdeck fahren, damit ihre Frisur, mit der sie sich so viel Mühe gegeben hatte, nicht durcheinander geriet.
Ihre einzige Sorge war, auf dem Fabrikparkplatz Masako in die Arme zu laufen. In letzter Zeit war ihr schon der Anblick von Masakos Gesicht zuwider, so dass sie alles unternahm, um nicht ans gleiche Band zu kommen. Dazu musste sie aber unbedingt etwas früher als Masako in der Fabrik sein. Kuniko trat aufs Gas und brauste mit quietschenden Reifen vom Parkplatz der Mietskaserne.
Als sie auf den Fabrikparkplatz auffuhr, sah sie einen Wächter neben dem Wachhäuschen stehen.
Er trug eine dunkelblaue Uniform, hatte einen Schlagstock umgebunden, und um seinen Hals hing eine große Taschenlampe. Masako hatte leider Recht gehabt: Jetzt, wo ein Wächter da war, standen die Chancen schlecht, dem Grabscher über den
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