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Die Un-Heilige Schrift

Die Un-Heilige Schrift

Titel: Die Un-Heilige Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmuth Santler
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gleichfalls anonyme Bemerkung, die die Behauptung aufstellt, der Verfasser sei ein Zeuge der Kreuzigung gewesen, der neben Maria, Maria und Maria auch der „Jünger, den Jesus lieb hatte“, beigewohnt hatte; die Identität von Verfasser und Jünger geht daraus nicht eindeutig hervor. In Joh 21,20 erkundigt sich Petrus nach dem bewussten „Jünger“, den er Jesus nachfolgen sieht: „Herr, was wird aber mit diesem?“ Jesus antwortet kryptisch: „Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an?“ Folgt er Jesus nun nach oder bleibt er auf dessen Geheiß? Petrus wird eindeutig zum Folgen aufgefordert, der liebe Jünger folgt ihm freiwillig, soll aber eigentlich „bleiben, bis“ Jesus „kommt“.
Diesem wirren Absatz folgt einer, der mit dem Satz beginnt: „Dies ist der Jünger, der dies alles bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist.“
    Wiederum ist in keiner Weise eindeutig, dass der von sich selbst in der dritten Person sprechende Verfasser-Jünger mit dem Lieblingsjünger ident ist: Obwohl beim Durchlesen spontan dieser Eindruck entsteht, muss man bei kritischerer Textanalyse feststellen, dass der schlechte Text dieser Passage nicht einmal zulässt, den grundsätzlichen Geschehnissen zu folgen.
    Was bleibt, ist noch zu bemerken, dass auch das Johannesevangelium von irgendjemandem verfasst worden ist, der die Autorenschaft dem Apostel Johannes zugeschrieben hat – 70 bis 120 Jahre nach Jesu Kreuzigung. Der christlichen Tradition zufolge hat zwar Johannes uns als einziger Zeit- und Augenzeuge unter den Evangelisten etwas Schriftliches hinterlassen, die historisch-kritische Auslegung der Schrift im Sinne der modernen Bibelwissenschaft kam jedoch zu einer anderen Schlussfolgerung.
    Evangeliensinnlichkeit

    Die hl. Maria Magdalena salbt Christus die Füße ein. Friedrich Herlin, 1462–65. Ein Gerücht für die Jahrtausende: Maria Magdalena wird das Salben der Jesusfüße zugesprochen. So stand es nie in der Bibel.
    Geht es um sinnliche Erlebnisse, halten sich die Evangelien weitgehend bedeckt; die Ausnahme ist dafür ausgesprochen exotisch:
    Lk 7,37 Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl 38 und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl. (www.bibel-online.net)
    Die Evangelisten Johannes und Lukas wissen zu berichten, dass auch Maria aus Bethanien so verfahren sei. Weder diese Maria noch die namenlose Sünderin sind im Übrigen ident mit Maria Magdalena, wie es über Jahrhunderte behauptet und geglaubt wurde; dazu aber mehr im Kapitel „Eine ganz besondere Frau“.
    Was immer der tiefere, symbolische Gehalt dieser rituell anmutenden Geste gewesen sein mag, in der Demut, Zuneigung und Opferbereitschaft deutlich werden: unangenehm war es gewiss nicht, mit königlichem, kostbarem Öl eingerieben zu werden und sich die Füße küssen zu lassen.
    Jesus, der Mann, war also der Sinnlichkeit nicht abhold, zumal er die körperliche Berührung, den Kuss auf den Mund, für die Vermittlung seiner spirituellen Botschaften benötigte. Erleuchtung/ Erlösung und körperliche Begegnung waren eng miteinander verknüpft; inwieweit die Vermittlung der Lehre auch eine mehr genussvoll leibliche Dimension hatte, bleibt fürs Erste der Spekulation überlassen; dass es diese Dimension aber grundsätzlich gab, scheint außer Frage zu stehen. Und warum auch nicht?
    In der sinnlichen Begegnung machte Jesus keinen Unterschied der Geschlechter, wie er ja auch sonst die Geschlechterdifferenzen als etwas einschätzte, was es zu überwinden galt. Er stand offenbar über kleinlichen Konzepten, die die Statthaftigkeit oder Nicht-Statthaftigkeit körperlicher Begegnung vom Geschlecht abhängig machen. Er verband mit Nähe ein umfassenderes, grenzenloses Ganzes, in dem es um Liebe ging. Jesus’ Liebesbegriff war höchstwahrscheinlich von antiken Überlegungen beeinflusst, die der Hellenismus nach Palästina gebracht hatte.
    Eros, Philia und Agape

    Der Pelikan, der sich seine Brust aufreißt, um seine Jungen mit seinem Blut zu füttern, ist ein altes Sinnbild der aufopfernden Liebe.
    Demzufolge existieren drei Erscheinungsformen der Liebe: Eros, die sinnlich-erotische Liebe, auch als Erkennen von Schönheit oder romantischer

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