Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
Vom Netzwerk:
sie, als ob nichts wäre. Die Verblüffung unterbrach seinen Tränenfluss. Remouald folgte dem Blick seines Vaters ... Er stellte die Flasche auf den Beistelltisch. Keiner von beiden ging weiter darauf ein.
    »Großes oder kleines Geschäft?«
    »Klein«, stieß Séraphon leise hervor.
    Remouald hob die Decken hoch und machte sich daran, die Windeleinlagen aus Zeitungspapier zu wechseln, die sein Vater trug. Séraphon war kitzlig wie ein Äffchen, wenn man ihn am Bauch berührte, und meist ging es bei dieser abendlichen Sitzung heiter zu. Wenn Remouald in Laune war, neckte er seinen Vater beim Verschließen der Sicherheitsnadel ein wenig mit den Fingern. Dann lachten die beiden einträchtig, wie sonst nie ...
    Aber Séraphon schaute betrübt zur Decke, und Remouald verzog das Gesicht, als er feststellte, dass sein Vater sich zum ersten Mal geirrt hatte und auch ein Häuflein Engelskuchen mitgekommen war.
    Das Ganze wurde eingepackt und aus dem Fenster geworfen.
    »Es ist sieben Uhr, Papa. Zeit für deine Suppe.«
    Remouald nahm ihn in die Arme und trug ihn in die Küche. Dort setzte er ihn auf seinen Hochstuhl, band ihm das Lätzchen um den Hals und wandte sich seinen Töpfen zu. Meistens aßen sie Püree. Rohkost, Mohrrüben oder Kartoffeln kaute Remouald ihm vor, und Séraphon empfing das Futter mit in den Nacken gelegtem Kopf aus dem Mund seines Sohnes. An diesem Abend aber spuckte er beharrlich aus, was immer Remouald ihm gab; alles schmeckte widerlich. Er weigerte sich sogar, ein Stück Schwarte zu lutschen. Remouald brachte ihn wieder ins Bett und ging zurück in die Küche.
    Nein, in Wirklichkeit hatte Remouald Monsieur Judith nicht sagen können, dass er sich nicht mehr um seine Nichte kümmern wolle, weil er noch nie in seinem Leben das Gefühl gehabt hatte, so sehr an jemandem zu hängen wie nach diesem einen Nachmittag an Sarah. Als er vorhin die Bank verlassen hatte, spürte er bereits nach zehn Schritt, dass sie ihm fehlte. Er murmelte: »Nach diesem einen Nachmittag.« Er war gleichermaßen verwundert wie erschüttert.
    Remouald versuchte an etwas anderes zu denken. Seit dem Vorabend ging ihm eine Idee nicht mehr aus dem Kopf. Ein bescheidenes Vorhaben, gewiss, aber er war der Überzeugung, dass es die wichtigste Arbeit seines Lebens sein würde. Alles erschien ihm in hellem Licht, der Ort, die Größe, das Material, das er benutzen würde. In seinem Schuppen lagerte Holz von hervorragender Qualität, das er sich für eine Verwendung aufgehoben hatte, die es lohnte. Wenn er am Samstag anfinge, würden die Arbeiten zum gewünschten Zeitpunkt abgeschlossen sein. Remouald trat an den Herd, ruhigen Gemütes und bar jeder Erinnerung, die ihm das Herz beschwerte.
    »Vorausgesetzt, ich lebe Samstag noch«, dachte er und tauchte die Kelle in den Topf.

A ls der Mittwochabend kam, musste Rocheleau seinen Vater wieder einmal anlügen. Es war einfach, fast schon zu einfach, und deprimierend. Während er seinen Ranzen mit Büchern vollpackte, erklärte er ihm, er gehe zu seinem Freund Bradette, um mit ihm Mathe zu lernen, würde aber auf dem Heimweg nicht trödeln und spätestens um neun wieder zu Hause sein. Die Wanduhr zeigte bereits Viertel vor sieben. Sein Vater bemerkte nicht, dass seine Stimme zitterte.
    Als Einzelkind in zweiter Generation war Monsieur Rocheleau Arzt geworden, um seiner verwitweten Mutter zu gefallen. Mit seinem langsamen, systematischen, gewissenhaften Geist verinnerlichte er die Wissenschaft mit der digestiven Geduld von Treibsand. Bei seinen Kommilitonen war er berühmt dafür gewesen, dass er jeden Abend ohne willentliche Komik sorgfältig seine Socken am Fenster aufhängte, um sie für den nächsten Morgen auslüften zu lassen. Seine Lehrbücher und alles, was in ihnen stand, liebte er mit selbstverständlicher Innigkeit. Bisweilen roch er verstohlen am Buchsteg. Er entwickelte eine Leidenschaft für bestimmte Krankheiten, war entzückt von ihrer Ätiologie, von dem, was er einen dramatischen Verlauf nannte, ohne darüber nachzudenken, dass es Wesen aus Fleisch und Blut geben könnte, die daran litten. Jeden Abend zwischen elf und Mitternacht schrieb er seiner Mutter; in seinen Unterlagen fanden sich Entwürfe von Sonetten, die er ihr gewidmet hatte. Indem er bei seiner ersten Autopsie drei Malin Ohnmacht fiel, brachte er es zu einem gewissen Renommee. Fortan wurde er »Prinzessin auf der Erbse« genannt und zur beliebten Zielscheibe aller Fakultätspossen.
    Nach Abschluss seines

Weitere Kostenlose Bücher