Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)
von ihrer Freude, als Remouald wie ein Geschenk zu ihrem fünfzehnten Geburtstag auf die Welt kam. Diese Geschichten hatten seine ganze Kindheit erhellt. Aber nun schwieg sein Vater, und er wusste nicht warum. Schon mit zwölf Jahren hatte sich in Remoualds Gedächtnis das Bedauern eingenistet.
Jede Woche wartete Remouald mit klopfendem Herzen auf den Samstag, als wäre Weihnachten. Denn da brachte der Zimmermann seinem Sohn alles bei, was er über seinen Beruf wusste. Und Remouald hatte nicht das Gefühl, etwas Neues zu lernen, sondern er schien sich einfach nur bestimmter Bewegungen zu entsinnen, die er seit jeher tief in sich trug. In der Berührung mit dem Holz fand er ein wenig von der Wärme wieder, die ihm fehlte, seit sein Vater ihm nicht mehr die Hände wusch.
Remouald war ein gläubiges Kind, und Pfarrer Cadorette, der dies für seine Berufung hielt, ermutigte den Jungen, ihn im Pfarrhaus zu besuchen. Er holte seine Bilderbücher heraus, sprach vom Leben der Heiligen. Er erzählte Geschichten, in denen kleinen Mädchen die Heilige Jungfrau erschien, der Teufel sich als Wolf verkleidete und man mit Kruzifixen zaubern konnte. Einmal unterbrach ihn Remouald mit der Frage, ob es Dinge gebe, die auch Gott nicht möglich seien.
»Gott ist allmächtig, mein Kind, ihm ist alles möglich. Nur kann Er nichts Böses wollen, da es Seiner Heiligkeit zuwider wäre.«
»Was ich meine, ist: Könnte er dafür sorgen, dass zwei und zwei nicht mehr vier ergibt? Oder könnte er unendlich lange Schrauben erfinden oder einen Stock ohne Enden?«
»Ich weiß zwar nicht, worauf du hinauswillst, Remouald, aber ich würde sagen, dass Gott nichts wollen kann, was absurd ist. Wenn man sagt, dass Er alles kann, soll das nicht heißen, dass es auch in seiner Macht liegt zu betrügen. Gott ist Wahrheit, Wahrheit und Liebe.«
Remouald kratzte sich an der Nase und ließ nachdenklich die Beine baumeln. Der Pfarrer wollte schon mit den Abenteuern der Heiligen Theresia vom Kinde Jesu fortfahren, wurde aber wieder von Remouald unterbrochen.
»Wenn Gott allmächtig ist«, sagte er, »dann heißt das, dass Er über den Lauf der Dinge entscheidet, nicht wahr?«
»Ganz ohne Zweifel«, sagte der Pfarrer im Ton eines Verkäufers, der für die Qualität seiner Teppiche bürgt.
»Aber Herr Pfarrer, wenn Gott ein Wunder tut, ist es dann nicht so, als würde er den Lauf der Dinge ausnahmsweise ändern?«
Cadorette nickte nur vorsichtig.
»Aber dann«, fuhr Remouald mit halb geschlossenen Augen fort, als ob er in seinem Kopf Fäden verband, entknüpfte und wieder verband, »aber dann, wenn er den Lauf der Dinge ändert, heißt das doch, dass der alte Lauf der Dinge nicht der … beste ist, nicht wahr? So als hätte Er seine Meinung geändert. Aber wenn man seine Meinung ändert, heißt das doch, dass man die neue wohl für besser hält als die alte. Wenn also Gott seine Meinung ändert, dann heißt das, dass er sich beim ersten Mal … also, dass er sich … dass er sich geirrt hat, Herr Pfarrer? Oder dass er sich jedenfalls nicht gleich von allen Möglichkeiten, die es gab, für die beste entschieden hat?«
Cadorette klappte das Bilderbuch zu und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er räusperte sich.
»Ich finde, du bist ziemlich jung, mein kleiner Remouald, um an der Klugheit des lieben Gottes herumzukritteln.«
Remouald wurde rot. Es lag ganz und gar nicht in seiner Absicht, den Ewigen Vater zu kritisieren.
»Mein armes Kind, ich denke, dir ist klar, dass sich der liebe Gott die Wunder nicht einfach aus einer Laune heraus ausdenkt.«
»Ja, Herr Pfarrer.«
»Wenn Gott ein Wunder tut, dann nicht, weil Er eine falsche Entscheidung bereut, die er mit einer Kehrtwende wiedergutmachen will. Seine Wunder sind Zeichen , die Er den Menschen sendet. Damit sie an Seinem großen Plan teilhaben, dessen Absichten wir, arme Sünder, die wir sind, niemals begreifen können. Hast du mich verstanden?«
Remouald bejahte, aber als ihre Blicke sich trafen, wusste der Pfarrer, dass seine Erklärungen die Zweifel des Jungen nicht hatten zerstreuen können.
Remouald suchte sich Arbeit: Er trug Zeitungen aus und betätigte sich drei Abende die Woche als Bote für Séraphon. So erhielt er für jede Bestellung, die er in die Holzhandlung brachte, ein paar Sous. Sein Vater war zunächst dagegen gewesen, denn er hielt Séraphon für einen schlechten Menschen. Aber seit seinem Unfall schrumpften ihre Ersparnisse und Célia brachte ihn auf ihre sanfte Weise
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