Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
aufgenommen, kühl, geheimnisvoll,
spannungsgeladen. Paula war begeistert gewesen. Allerdings saß sie momentan – schreibtechnisch
gesehen – in einem tiefen schwarzen Loch. Kein Geistesblitz für ein neues Buch,
nicht der Schimmer einer Idee. Aber sie konnte doch nicht die Hände in den Schoß
legen und sich auf ihren Lorbeeren ausruhen, die ja eigentlich bislang nur Vorschusslorbeeren
waren. Um ehrlich zu sein, jetzt, wo der Text unabänderlich stand, hatte sie doch
ziemlich Muffensausen. Furcht vor Kritik, Furcht vor Verriss.
Und die
schweißnassen Nächte mit den allzu lebhaften Albträumen waren grässlich. Kein Wunder
bei dem Druck, unter dem sie stand. Die Mixtur aus Versagensangst und Angst vor
diesem Bullterrier von Kommissar bedurfte keines Psychologen, um analytisch aufgeschlüsselt
zu werden. Eigentlich gab es da nur eines: Schreiben. Schreiben als Therapie. Und
das Thema lag auf der Hand.
Es war das
Thema eines amerikanischen Films, den Paula in ihrer Jugend gesehen hatte und der
auf einer wahren Begebenheit beruhte. ›Lasst mich leben! – I want to live!‹ Mit
Susan Hayward in der Hauptrolle. Sie spielte eine vorbestrafte Frau, die in Verdacht
gerät, eine reiche Witwe ermordet zu haben. Voreingenommene Geschworene geben der
Frau keine Chance. Obwohl sich die Anklage lediglich auf Indizien stützt, kommt
es zum Todesurteil. Nur der Gerichtspsychologe und ein Gerichtsreporter glauben
an ihre Unschuld. Doch das Gnadengesuch wird abgelehnt, die Frau endet in der Gaskammer.
Die Schuldfrage
wurde nie geklärt.
Paula war
damals zutiefst verstört, nicht zuletzt wegen der grandiosen Susan Hayward, die
für die Rolle einen Oscar bekam. Nie würde sie diese schrecklichen Gefängnisszenen
vergessen, die Verzweiflung, die Angst vor der Hinrichtung. Es war grauenhaft. Der
Film war ein brillantes Plädoyer gegen Indizienprozesse und gegen die Todesstrafe.
Und nun
murkste Paula an einem Remake herum, natürlich auf deutsche Verhältnisse übertragen.
Statt Todesspritze lebenslänglich. Damit die Schuldfrage offenblieb, durfte vieles
nicht erzählt werden, musste manches im Dialog ungesagt bleiben. Das war nicht einfach.
Einfach jedoch war die Botschaft: In dubio pro reo. Aber das Ganze haute nicht richtig
hin, weder vom Schriftstellerischen noch vom Therapeutischen her. Die einzig hilfreiche
Therapie wäre in der Tat, wenn die Ermittlungen endlich eingestellt würden.
»Hallo, Paula. Gernot Freese hat
angerufen.«
»Und was
sagt er?« Paulas linker Arm zitterte wieder ein bisschen.
»Er sieht
kein überzeugendes Argument dafür, dass du in irgendeiner Weise verdächtig bist.
Er findet es sogar an den Haaren herbeigezogen.«
»Na, bitte.«
»Außerdem
liegt das Ergebnis der DNA-Analyse jetzt vor. Ein Abgleich mit einer Haarbürste
und einem Polohemd aus Simons Wohnung hat ergeben, dass der Tote definitiv jemand
anderes ist. Die Tatsache aber, dass in der Wohnung offenbar nichts fehlt – sie
haben wohl alle Kleider- und Badezimmerschränke gründlichst durchforstet –, bringt
ihn zu der Annahme, dass Simon etwas zugestoßen sein muss. Insofern gibt er Strehler
schon recht.«
»Hm.«
»Da ist
allerdings noch etwas. Und das ist, na ja, sagen wir mal, zumindest recht erstaunlich.«
»Was denn?«
»Aus der
Akte geht hervor, dass Kai-Uwe Wulffhorst ziemlich alkoholisiert war, als er zu
Tode kam. Davon war aber nie die Rede, oder?«
»Nein, kein
Wort. Das ist ja die Höhe. Mich zu verdächtigen, wenn einer im Suff in die Baugrube
fällt und sich das Genick bricht! Das gibt’s doch nicht. Da siehst du’s, Lukas.
Der Strehler hat alles so hingedreht, dass ich der Sündenbock bin.«
Und Daniel
Fichte? Hatte der das auch gewusst? Wohl kaum. Wahrscheinlich hatte Strehler auf
seiner Akte gehockt wie ein Huhn auf dem goldenen Ei.
»Gibt es
noch mehr von der Sorte? Zurückhalten von Informationen, um harmlose Leute zu verunsichern,
um ihnen Fallen zu stellen?«
»Das kann
ich nicht beurteilen. Ich weiß ja nicht, was in euren Gesprächen alles zur Sprache
kam. Aber auf jeden Fall ist Gernot stocksauer. Er sagt, Strehler habe sich viel
zu früh und zu einseitig festgelegt. Er wird ihn zu einem Dienstgespräch zitieren.«
Das geschah
dem Kerl recht. Hätte Paula nicht den Hörer gehalten, hätte sie sich die Hände gerieben.
»Gernot
will sich dann noch mal melden und mir sagen, wie es gelaufen ist.«
»Das ist
gut. Aber noch eins, Lukas. Der Erpressungsversuch. Hat sich Freese dazu
Weitere Kostenlose Bücher