Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)
kreuzunglücklich war.
Während Nina mich in den Arm nahm und mir das bunte Pflaster, das Bernard ihr geschenkt hatte, sorgsam auf den Bauch klebte, sah ich noch aus dem Augenwinkel Bernards skeptisches Gesicht und seine in Falten gelegte Stirn. Ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte.
Der Raum versank im Dämmerlicht. Nina hustete, und auch ihr Husten erinnerte mich an Isabelles Lungenentzündung, vielmehr an das Blecheimergeräusch, das damals aus ihrer Brust geklungen war. Es hörte sich nicht gut an.
»Weißt du, Mici Mackó«, sagte sie, als wir alleine waren, und sie sprach meinen neuen Namen, kleiner Bär, zärtlich »Mitschi Motschko« aus, »Papa macht sich Sorgen um mich.«
Ich weiß. Das habe ich gesehen.
»Sie glauben, ich würde das nicht merken.«
Sie sah mich mit großen Augen an.
»Ich war schon bei ganz vielen Ärzten, und die haben alle so ein Gesicht gemacht wie Onkel Bernard«, sagte sie tapfer. »Keiner weiß, was mit mir los ist.«
Aber Bernard ist ein toller Arzt. Er hat schon ganz viele Kinder gerettet!
»Papa sagt, dass Onkel Bernard unsere große Hoffnung ist.«
Bestimmt. Ganz bestimmt.
Ich fing ihren Blick auf. Sie sah mich aus ihren fiebrig glänzenden Augen ruhig an, bis ihre Lider immer schwerer wurden. Nina schlief ein, und zum ersten Mal seit langer Zeit hatte ich das Gefühl, dass mein Leben einen Sinn hatte. Ihre Finger drückten auf meinen Bauch, und ich spürte die Liebe in mir, so deutlich wie am Tag von Giannis und Isabelles Hochzeit.
Die Tür ging auf, und Ilona kam herein.
»Nina«, sagte sie mit leiser Stimme. »Nina?«
Nina rührte sich nicht. Ilona trat ans Sofa und legte dem schlafenden Kind die Hand auf die Stirn.
»Wenn wir dir nur helfen könnten …«, flüsterte sie und wiederholte leise: »Nina.«
Langsam öffnete das Mädchen die Augen.
»Möchtest du vielleicht eine Kleinigkeit essen? Es wäre sicher gut für dich. Laura hat für uns alle Palatschinken gemacht!«
Nina nickte müde.
»Willst du aufstehen?«, fragte Ilona. »Oder soll ich dir etwas bringen?«
»Aufstehen.«
Ilona half Nina aus dem Bett. Sie waren schon an der Tür, da sagte Nina:
»Mici möchte auch mitessen.«
»So? Dann wollen wir ihm das nicht verwehren.« Ilona lachte. »Mici heißt du also?«, fragte sie, als sie mich vom Sofa holte.
Na ja, eigentlich Henry. Aber Mici ist auch nicht so schlecht.
»Das ist aber ein schöner Teddy, den Bernard und Laura dir geschenkt haben. Als ich klein war, hatte ich auch mal einen, der sah ganz ähnlich aus.«
»Und wo ist er jetzt?«, fragte Nina.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Ilona. »Vielleicht habe ich ihn kaputtgeliebt. Er war ein sehr treuer Bär, und ich habe ihn ganz schön strapaziert.«
Ich bin auch treu. Sehr. Und auch sehr strapaziert. Aber noch längst nicht kaputt.
»Mici ist noch ganz«, sagte Nina, und wir gingen in die Küche.
Ich saß auf Ninas Schoß, bekam ein paar Mal eine Gabel voll Palatschinken vor die Nase gehalten, der erstaunlicherweise eher aussah wie Pfannkuchen und nicht wie Schinken, aber da ich ohnehin nicht probieren konnte, war mir das egal. Ich heuchelte professionell Interesse, und Nina lächelte.
»Ich glaube, Mici schmeckt es genauso gut wie mir«, sagte sie.
Maurus übersetzte, und Laura zwinkerte dem Mädchen verschwörerisch zu. Doch mir entging nicht, dass Laura mich während des Essens ein paar Mal verstohlen ansah. Ihr Blick verriet nicht, was sie dachte. Doch es schien mir fast, als wäre sie neidisch. Nicht auf Ninas Krankheit, sondern vielmehr auf die innige Verbindung, die Nina und ich vom ersten Moment an gehabt hatten. So hatte sie mich nie geliebt. Vielleicht bemerkte sie das jetzt?
Als Nina sich am Abend übergeben musste, war Laura verzweifelt.
»Ich habe es genau nach Mamas Rezept gemacht, ehrlich!«, hörte ich ihre unglückliche Stimme aus der Küche. »Ich habe es doch nicht absichtlich getan.«
»Nein, Laura. Du hast nichts verkehrt gemacht«, sagte Bernard. »Nina ist einfach sehr schwach. Ihr Organismus kann nur noch wenig verkraften. Wenn ich nur wüsste, wo der Entzündungsherd sitzt, dann könnte ich ihr besser helfen.«
Was hatte das zu bedeuten? Wie krank war Nina denn? Und warum gab Bernard ihr nicht einfach eines von seinen schweizerischen Zaubermitteln?
Die Hofmanns blieben zehn Tage.
Laura verbrachte viel Zeit an Ninas Bett, spielte Mensch ärgere Dich nicht und ärgerte sich doch – aber nur ganz wenig. Sie sahen sich im Fernsehen gemeinsam eine
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