Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)
Zeichentrickserie an, die Arthur der Engel hieß, und Laura lernte, auf Ungarisch zu zählen. Doch das alles täuschte nicht darüber hinweg, dass Ninas Krankheit keine Anstalten machte zu verschwinden und sämtliche Untersuchungen, die Bernard vorgenommen hatte, nicht die gewünschten Ergebnisse lieferten. Er kümmerte sich rührend um Nina und gab sich alle Mühe, gute Laune zu verbreiten. Doch nach vier Tagen bestand er schließlich darauf, dass sie ins Krankenhaus gebracht würde.
Ich hörte, wie die Erwachsenen in der Küche darüber sprachen. Die Tür stand immer einen Spaltbreit offen, damit Nina sich im Wohnzimmer nicht einsam fühlte.
»Meinst du, dass das wirklich nötig ist?«, hörte ich Ilona fragen.
»Mehr kann ich hier zu Hause nicht tun«, antwortete Bernard.
»Du weißt ja, wir sind nicht gerade die beliebtesten Gäste auf Staatskosten …«, zweifelte Ilona.
»Ich kenne da einen guten Kollegen im Szent János Hospital«, erklärte er. »Ich habe schon mit ihm gesprochen, und er ist bereit, sich meine Ergebnisse anzusehen. Wir kriegen eure Nina schon wieder auf die Füße, du wirst sehen.«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte Maurus, und er fügte leise hinzu: »Sie muss wieder gesund werden. Noch mal halte ich das nicht aus.«
Bernard nickte. »Wir tun unser Bestes.«
»Ja, ich weiß. Und ich weiß auch, dass das keine leere Phrase ist. Ich bin dir so dankbar. Du kannst dir vorstellen, wie schwierig es ist, hier die richtige Behandlung zu kriegen, wenn man nicht … na ja, wenn man nicht ins richtige Horn bläst.«
»Gibt es denn wirklich keine Möglichkeit, sie zum Beispiel nach Wien in die Klinik zu bringen? Die Versorgung im Westen klappt viel reibungsloser und schneller.«
»Mit unserer Familiengeschichte? Du machst Witze! Du glaubst nicht, wie viele Telefonate ich geführt habe. Ich habe wirklich alle Kontakte angezapft, die ich habe. Seit Wochen bin ich als Bittsteller unterwegs. Aber mir wurde ziemlich deutlich gemacht, dass ich froh sein kann, wenn wir in diesem Jahr einen Pass kriegen, um meine Mutter in Wien zu besuchen. Letztes Mal vor drei Jahren haben sie mich nicht rausgelassen. Ich hatte wohl in irgendeinem Interview etwas Falsches gesagt.«
Ich versuchte, besser zu hören, aber Nina hielt mich so fest, dass ich ihren Atem lauter vernahm als die Stimmen in der Küche. Dabei fand ich es durchaus interessant, was Maurus gerade erzählte. War das so zu verstehen, dass die Menschen hier in Budapest nicht einfach verreisen durften, wie sie wollten? Wer verbot es ihnen?
»Ist das wirklich so schlimm? Bei uns in der Schweiz wird über Ungarn immer nur als die lustigste Baracke im sozialistischen Lager berichtet. Die Medien tun fast so, als gäbe es hier kein repressives Regime.«
»Tja, das hängt ganz davon ab, mit wem man spricht«, sagte Ilona ironisch. »Wer nur die Bücher lesen will, die erlaubt sind, erlebt natürlich auch keine Repressalien. Es lebe das System, hurra.«
Sie durften auch nicht lesen, was sie wollten? Das wurde ja immer merkwürdiger. In meinem Kopf fielen diese neuen Informationen wild durcheinander.
Ilona fuhr fort: »Das, was ihr da drüben im Westen als ›liberalen Sozialismus‹ bezeichnet, haben wir mit unserem Blut bezahlt. Du glaubst doch nicht, dass wir diese Freiheiten hätten, wenn die Menschen 1956 nicht auf die Barrikaden gegangen wären. Aber es stimmt natürlich schon«, räumte Ilona dann ein. »Wenn man es zum Beispiel mit der DDR vergleicht, geht es uns gar nicht so schlecht.«
Jetzt fiel es mir wieder ein: Die DDR, das war diese Sache in Deutschland gewesen. Ich erinnerte mich, dass kurz nach dem Krieg ein Teil von Deutschland abgespalten und dass Anfang der Sechzigerjahre sogar eine Mauer gebaut worden war, um diese Teilung deutlich sichtbar zu machen. Der neue Teil wurde DDR genannt. Im französischen Fernsehen war damals darüber berichtet worden, dass an dieser Mauer sogar auf Leute geschossen werden dürfe, wenn sie versuchten, das Land illegal zu verlassen, jetzt erinnerte ich mich wieder, wie entsetzt Hélène damals darüber gewesen war. Aber das war ja schon so lange her. Ich hatte nicht geglaubt, dass es diese Grenze noch immer gab, und vor allem hatte ich nicht gewusst, dass es noch mehr Länder gab, in denen die Menschen wie in einem großen Gefängnis lebten. Bären und Politik, das war noch nie eine glanzvolle Kombination.
Maurus mischte sich wütend ein: »Freiheiten, schön und gut, aber in den entscheidenden Moment
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