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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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davon.
    Sie einigten sich schließlich auf Puddly.
    Sagen wir so: Es ist kein Wunder, dass mit diesem Namen nichts Berühmtes aus mir wurde. Aber was sollte ich tun? Wehren konnte ich mich nicht, und so sehr ich mich auch bemühte, den Namen Henry im Raum zu materialisieren, so wenig kamen sie auf die Idee, mich Henry zu nennen.
    Letztendlich waren sie eben doch wieder bei der Literatur gelandet. Wie hätte es auch anders sein können, in einem Haushalt, in dem es – wie ich bald herausfand – mehr Bücher als Staubkörner gab. Wenn ich es richtig verstanden habe, gab ein gewisser Doktor Doolittle den Anstoß dafür. Victor hatte dieses Buch mit nach Hause gebracht und den Kindern in der Vorweihnachtszeit allabendlich daraus vorgelesen. Ja, denn auch die Kinder waren vom Lesevirus infiziert, Lili noch mehr als Leo. Wenn Victor seine Familie abends vor dem Kamin versammelte und aus einem der neuesten Bücher vorlas, waren alle ganz Ohr. Emily eingeschlossen. Und wenn Cathy neben Servieren, Bügeln und Putzen Zeit fand, suchte sie sich heimlich ein Plätzchen im Nebenraum, lehnte die Tür an und lauschte mit verträumtem Blick, das habe ich selbst gesehen.
    Ich lebte mich schnell bei den Browns ein. Sie machten es mir allerdings auch leicht, mich wohl zu fühlen. Zum einen hatten sie keine Katze, was ich wohlwollend zur Kenntnis nahm. Zum anderen war es ein Haus voller Leben, und es wurde selten langweilig. Lange Vormittage auf der Fensterbank erlebte ich in diesen Jahren nur wenige. Selbst wenn Emily bei Treffen der Frauenvereinigung oder beim Bridge, Victor im Büro und die Kinder in der Schule waren, kehrte im Haus am Fitzroy Square keine Ruhe ein. Den strengen Augen der Hausherrin entronnen, nutzte das Dienstpersonal diese Stunden, seiner Arbeit frei und unbeschwert nachzukommen. Mit einem Liedchen auf den Lippen fegte Cathy durch den Salon, den Staubwedel in der einen, den Lappen in der anderen Hand.
    In meinem Leben gab es ein paar Menschen, die sich meine Liebe nicht erwarben, sondern denen ich mein Herz schenkte, ohne dass sie je darum hätten bitten müssen. Cathy war eine von ihnen. Sie war vielleicht ein wenig naiv, die Schule hatte sie nie besucht, doch sie war ein durch und durch guter Mensch, aufrichtig, ehrlich und ihrer Herrschaft treu ergeben. Sie hätte sich niemals etwas zuschulden kommen lassen. Niemals. Ich liebte ihre fröhliche Leichtigkeit, mit der sie jeden Tag ihres Lebens zu begehen schien und für die sie alle im Haus schätzten.
    Erst mit der Zeit verstand ich, wie viele Menschen an diesem Haushalt beteiligt waren. Neben James und Cathy gab es noch Mary Jane, die Köchin, und Rusty, den Gehilfen. Ihnen allen stand Miss Hold, die Hausdame, vor. Sie hatte die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die vier anderen keinen Unsinn machten und der Spaß downstairs nicht überhand nahm.
    Wir lebten im Obergeschoss, upstairs, wie es hieß. Dass es überhaupt ein Untergeschoss gab, erfuhr ich eigentlich nur, weil Lili eine enge Freundschaft mit Mary Jane pflegte und mich gelegentlich bei ihren Ausflügen in die große Küche unter den Arm klemmte.
    Es war herrlich dort unten. Die Küche war voller Gerüche, es herrschte immer ein reges Treiben. In satten Schwaden zog der Duft von frisch gebackenem Brot durch den warmen Raum und mischte sich mit Zwiebelwolken, die zischend von der gusseisernen Pfanne aufstiegen, dass einem das Wasser im Mund zusammenlief. Kein Wunder, dass Lili sich dort unten so wohl fühlte. Mary Jane war eine gemütliche, dicke Frau, deren Lachen aus der Küche oft bis nach oben drang. Und wenn wir kamen, gab es immer ein Biskuit, ein Glas Saft oder eine andere Nascherei. Doch deswegen suchte Lili die Gesellschaft von Mary Jane nicht. Es waren die Geschichten, die sie zu erzählen hatte. Kein Tratsch entging ihr, auch wenn ihr selber nie ein Sterbenswörtchen über das Leben bei den Browns über die Lippen kam. Sie erzählte dem Mädchen von der Queen und von Afrika, wo die Buschmänner ganz ohne Kleider durch den Wald tobten, von Indien, wo alles viel bunter ist als in London, und von Lilis Großvater, dem herrischen Mann mit seinem riesigen Haus und mindestens zwanzig Boys, die rund um die Uhr mit Palmwedeln neben ihm standen und ihm Luft zufächelten. Und sie erzählte von der Zeit, als die Kinder noch nicht geboren waren, lange vor dem Krieg. Sie berichtete von den Anfängen in Victors Verlag, als er noch jedes Buch selbst mit der Hand setzte und abends immer mit pechschwarzen

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