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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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auch Bären verkaufen. Da muss ich leider erst die Chefin fragen.«
    Der Mann wandte sich um und rief in den hinteren Teil des Ladens:
    »Nadine! Nadine! Hörst du nicht? Woher kommt dieser Teddybär?«
    »Schrei doch nicht so!«, sagte eine Frau, die unmittelbar hinter ihm den Kopf zwischen den Regalen hervorstreckte. »Welcher Bär?«
    »Na, dieser Teddy, den Robert da angeschleppt hat. Ist das vielleicht kein Teddy?«
    »Den habe ich noch nie gesehen«, antwortete Nadine und schob sich das Haarband auf dem Kopf zurecht. Es war grün mit weißen Punkten, das weiß ich noch genau. Sie beugte sich über mich und sagte zu Robert:
    »Lass Maman mal schauen, ja?«
    »Ich will ihn kaufen.«
    »Ja, gleich mein Schatz, aber erst muss Maman wissen, wie viel er wert ist. Ich glaube, er ist sehr teuer.«
    »Oh«, machte Robert. »Schade.«
    Seine großen graugrünen Augen wurden rund, und sein kleiner Mund verzog sich zu einem enttäuschten Schmollen.
    »Wir wollen mal sehen, vielleicht können wir für Monsieur Bouvier ja einen Sonderpreis machen«, sagte der Mann und zwinkerte dem Jungen zu. Nadine nahm mich in die Hände. Das war der Moment, in dem mein Herz wieder zu schlagen begann. Sanft strich sie mir über den Kopf. Sie sah mir in die Augen und sagte:
    »Wo kommst du denn her?«
    Ich kann mich nicht erinnern. Ich bin obdachlos.
    »Ganz neu ist der nicht mehr«, sagte sie zu ihrem Mann. »Aber schön. Mit viel Liebe gemacht, das sieht man an den Nähten.«
    Oh, wie mir bei diesen Worten die Freude in die Glieder schoss. Ja. Ich war mit viel Liebe gemacht. Mit sehr viel Liebe. Ich trug die Liebe in mir, und sie hatte lange geschlummert, weil keiner sie haben wollte. Hoffnung keimte in mir auf. Hier war jemand, der dieses Wort kannte. Der wusste, was Liebe ist. Vielleicht würde hier endlich, endlich wieder ein Zuhause für mich sein?
    »Heute kostet der Bär drei Franc. Das ist sehr viel Geld. Aber übermorgen haben wir ihn im Sonderangebot«, sagte Nadine. »Dann bekommen Sie ihn so gut wie geschenkt, Monsieur Bouvier. Wollen Sie vielleicht lieber so lange warten?«
    Robert überlegte einen Moment. Nachdenklich legte er die Stirn in Falten und sah prüfend von seiner Mutter zu seinem Vater. Dann nahm er mich noch einmal in Augenschein und nickte schließlich ernst. Der kleine Wirbel auf seinem Hinterkopf wippte eifrig. Nadine strich ihm über das widerspenstige dunkelblonde Haar.
    »Wir setzen ihn direkt neben die Kasse, nicht wahr, Nicolas?«, sagte sie an ihren Mann gewandt.
    »Dort wartet er auf Sie, Monsieur«, sagte er und drückte mich in eine bequeme Sitzhaltung.
    Robert war längst nach draußen gelaufen, als Nicolas Bouvier seine Frau Nadine um die Taille fasste, sie an sich zog und ihr einen Kuss auf den Mund drückte. Er stieß mit seiner Nase an ihre und lächelte.
    »Wollen wir hoffen, dass keiner kommt, um ihn abzuholen«, sagte er. »Wäre doch zu schade um diesen Bären.«
    Es kam niemand. Ich bin sicher, das Kind hat mich noch nicht einmal vermisst, aber Robert schloss mich dankbar in die Arme, als die zwei Tage um waren, und ließ mich fortan nicht mehr los. Wie froh war ich, endlich wieder einen Gefährten zu haben. Einen Freund. Einen Vertrauten.
    Wir spielten und spielten und spielten. Nie wieder habe ich so viel gespielt wie in den Jahren mit Robert. Der kleine dünne Junge wuchs nur langsam, sehr zur Sorge seiner Mutter, und manchmal kam mir der Verdacht, dass alle Kraft, über die er verfügte, in seine Phantasie floss, die die wildesten Blüten trieb.
    Robert langweilte sich nie. Ihm fiel immer wieder etwas Neues ein. Bald verfügten wir über ein großes Arsenal verschiedener Szenerien, die sich teilweise über Jahre weiterentwickelten. Die Personage veränderte sich gelegentlich, aber die Hauptrollen waren immer dieselben: Robert und Doudou.
    Wir waren Cowboys und Drachenjäger, Zirkusdirektoren, und manchmal war er der große und ich der kleine Riese.
    Mein Lieblingsspiel war die Zeitreise. Wir konnten mit unserer Zeitmaschine problemlos durch die Jahrhunderte sausen, doch es war immer eine ganz bestimmte Zeitreise, die wir vornahmen. Wir landeten im November 1783, gerade rechtzeitig zur Landung der Mongolfière in der Rue Bobillot.
    Ein Bild dieses Ballonflugs, der billige Druck eines alten Gemäldes, hing bei uns zu Hause zwischen den Fotografien über dem Kamin. Es zeigte viel blauen Himmel, einen riesigen Ballon im Vordergrund und unten, winzig klein, die Häuser von Paris. Nicolas hatte

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