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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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der rechten thronte ein Abzeichen: ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen, der in seinen Krallen dieses Hakenkreuz hielt, das die deutschen Soldaten überall hinterließen wie Kater ihre Reviermarkierung. Friedrich tastete die Knopfleiste ab, der Gürtel saß gerade, dann schob er mit einer schnellen Bewegung seine Mütze in die Mitte und schlug sich zum Abschluss noch einmal den Reisestaub aus der Hose. Als er vor der Haustür stand, nahm er Haltung an und klopfte.
    Er sprang zur Seite, als der Hofhund Fips laut kläffend aus seiner Hütte schoss, so weit es seine Kette zuließ. Er wusste ja nicht, dass Fips niemals beißen würde. Das erfuhren wir erst später.
    Die Tür öffnete sich. Doch niemand bat Friedrich herein. Sie ließen ihn draußen stehen.
    Er gestikulierte, er sprach, blätterte in seinem Buch, er hörte zu, er nickte. Er war schüchtern und unsicher, das konnte ich sehen. Ich kannte Friedrich.
    Da tauchten am Tor zwei weitere Deutsche auf, eine Ordonnanz und ein Offizier, den ich noch nie gesehen hatte. Sie blieben am Zaun stehen und warteten.
    Dann sah ich, wie Friedrich die Hacken zusammenschlug und sich verabschiedete. Er hatte sich noch nicht umgedreht, da war die Haustür bereits schwer ins Schloss gefallen.
    Bestimmt bemerkten seine Kameraden es nicht, doch ich sah, wie mein Freund einen Augenblick schwankte, wie er sich für einen winzigen Moment der Absurdität der Situation bewusst zu werden schien.
    Dann drehte er sich um, reckte seinen rechten Arm im fünfunddreißig Grad Winkel zum Gruß in die Höhe und machte sich mit seinen Kameraden auf den Weg hinunter ins Dorf. Ich sah seine Gestalt in der goldenen Abendsonne verschwinden.
    Friedrich musste zum Dienst. Er hatte hier, an diesem gottvergessenen Plätzchen, weit entfernt vom Rest der Welt einen Krieg zu führen, von dem ich nun gar nichts mehr verstand.
    Ich blieb allein, aber das machte mir gar nichts aus. Ich hatte einen hervorragenden Platz bekommen, ich saß nicht in einer muffigen Unterkunft, sondern in einem Bauernhaus, und ich konnte bestens beobachten, was geschah.
    Kurz nachdem Friedrich gegangen war, öffnete sich die Tür des Bauernhauses, und ein Mann kam heraus. Er war groß und sah sehr kräftig aus. Seine Statur erinnerte mich an Nicolas, aufrecht und doch schwer. Er trug eine dunkle Wollhose, die von Hosenträgern über einem Leinenhemd gehalten wurde. An seinen Füßen hatte er grobe Holzschuhe. Das war ja interessant. Ich hatte nun schon einige Länder und viele Menschen gesehen, aber Holzschuhe hatte noch nie einer getragen. Sie schienen ein eigenwilliges Volk zu sein, diese Norweger. Der Mann verschwand hinter dem Haus. Mit einem Eimer in der Hand schlurfte er um die Ecke, und es wurde wieder still.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so dasaß und ins Tal schaute. Ich verfolgte, wie sich das Licht veränderte, wie die Wolkenschatten über die Wiesen zogen und wie ein Huhn lange Regenwürmer aus der Erde zog.
    Obwohl ich nur aus einem winzigen Fenster guckte, sah ich so viel Landschaft wie noch nie zuvor. Keine Häuserreihen begrenzten meinen Blick, keine hohen Wände, keine Straßen, keine vorübereilenden Fußgänger. Und doch wurde es nicht langweilig, hinauszuschauen.
    Plötzlich spürte ich einen Luftzug. Er kam von der Tür. Ich konnte mich ja nicht umdrehen, um nachzusehen, wer oder was die Tür aufgedrückt hatte, aber ich ahnte, dass ich Besuch bekommen würde.
    Die Angeln knarrten, und ich hörte das Tapsen von leichten Schritten. So hörten sich nur Kinderfüße an. So vorsichtig tastend, schleichend und dennoch neugierig. Robert, dachte ich für den Bruchteil einer Sekunde. Mir wurde fast schwarz vor Augen, so sehr schoss mir die Sehnsucht in die Glieder, als ich diese Schritte hörte. Wie sehr ich ihn vermisste, diesen sanften, blassen Jungen!
    Es wurde still, und außer einem leisen, aufgeregten Kinderatem war nichts zu hören. Mein kleiner Besucher sah sich um. Sicher war die Neugier auf diesen Fremden übermächtig gewesen.
    Ich spürte die Nähe einer kleinen Gestalt, die zögernd herankam und dann umschlossen mich zum ersten Mal seit einem Jahr sanfte Kinderfinger. Sie hielten mich fest umschlugen, und ich wurde gedreht.
    Es war ein Mädchen. Ein kleines Mädchen, mit dunkelblondem langem Haar, mit wassergrünen Augen und einem naseweisen Blick.
    Sie hielt mich ganz still, und wir sahen einander lange an. Dann drehte sie mich und betrachtete mich von allen Seiten, hob mich an ihre Nase und schnüffelte

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