Die Unvergänglichen: Thriller (German Edition)
Stelle verbracht und fühlte sich hier auf deprimierende Weise langsam wie zu Hause. Der Boden unter ihm war eben, er hatte die Steine beseitigt, an einem Ast über ihm hingen eine Wasserflasche und ein Walkie-Talkie und Seegers Gewehr Kaliber 22 lag auf einem sauberen Handtuch zu seinen Füßen. Trotz des kleinen Kalibers sah es dank des tarnfarbenen Schafts, des selbst gebauten Schalldämpfers und des tiefschwarzen Laufs recht beeindruckend aus.
Er beugte sich vor und sah durch die Blätter auf die Kreuzung hinaus. Nichts.
Die von schweren Holzzäunen umgebenen Grundstücke waren jeweils wenigstens vier Hektar groß; jedes beherbergte ein protziges Haus mit einer ebenso protzigen Familie. Diese geringe Bevölkerungsdichte hatte im Durchschnitt vierundzwanzig Autos, drei Hundeausführer und sieben Jogger pro Tag ergeben, die ihm stets einen kurzen Augenblick voller Panik, gefolgt von einer sehr langen Zeit der Langeweile, eingebracht hatten.
Seeger hatte an diesem Morgen angerufen, und je mehr Richard versuchte, nicht an diese Unterhaltung zu denken, desto mehr setzte sie ihm zu. Männer mit Sturmgewehren waren in sein Haus eingedrungen und Seeger hatte beschlossen, dass er und Susie an keinem Ort mehr sicher waren. Seine seiner Meinung nach einzige Option war, sich ein Wohnmobil zu kaufen und willkürlich durch das Land zu fahren, möglichst nur Nebenstraßen zu benutzen und nur so lange auf finsteren Rastplätzen haltzumachen, bis er ausgeschlafen hatte.
Das war nicht gerade das Leben, das sich Richard für seine Tochter gewünscht hatte, und er wusste, dass ihr das bald zu viel werden würde.
Der laue Wind, der fast den ganzen Tag geweht hatte, flaute ab, und rings um ihn herum herrschte Stille. Er hatte dieses Klischee zuvor nie verstanden, aber jetzt war es fast schon zu still. Er hatte zu viel Zeit, um darüber nachzudenken, was alles schiefgehen konnte. Dass aus der Verzweiflung heraus selten gute Entscheidungen getroffen wurden.
Carlys vom Rauschen verzerrte Stimme riss ihn in die Gegenwart zurück. »Er kommt! Hörst du mich? Er kommt!«
Richard sprang auf die Beine und schnappte sich das Walkie-Talkie, wobei er das Adrenalin in seinen Adern spürte, das sein Zielvermögen beeinträchtigen konnte, wie Seeger ihn gewarnt hatte. »Ich höre dich.«
»Schieß nicht daneben, ja?«
Er runzelte die Stirn und hob das Gewehr hoch, um den Lauf auf einen Ast zu legen, von dem er die Blätter abgerupft hatte. In der Militärschule hatte er sich immer gefragt, ob es klug war, einer Gruppe jugendlicher Eigenbrötler den Umgang mit Schusswaffen beizubringen, aber da das zu den wenigen Aktivitäten gehört hatte, die ihm Freude bereiteten, war er sehr gut darin gewesen. Natürlich war das Jahrzehnte her, und die Ziele waren bedeutungslos und reglos gewesen.
Richard schloss kurz die Augen. Was hatte Seeger gesagt? ›Lebe dabei nur in diesem Moment‹. Alles, was zuvor geschehenwar, war unwichtig, und ein Später würde es möglicherweise nicht geben.
Sehr beruhigend.
Nach einigen Augenblicken konnte er den Wagen sehen, eine schwarze Stretchlimousine mit dunklen Scheiben. Er stellte fest, dass sie am Stoppschild nicht zum Stillstand kam, und folgte dem Rand des Hinterreifens mit dem Zielfernrohr, um den Atem anzuhalten und auf den Moment zwischen zwei Herzschlägen zu warten.
Der leise Knall der schallgedämpften Waffe ertönte, doch ansonsten änderte sich nichts. Die Limousine beschleunigte auf der Kreuzung und verschwand wie alle Wagen zuvor aus seinem Blickfeld.
Richard ließ die Waffe fallen und rannte zwischen den Bäumen hindurch, wobei er den Ästen auswich und im Zickzack über einen kaum erkennbaren Weg hastete. Er atmete immer schwerer und wurde langsamer, als er in weniger vertrautes Gebiet gelangte, wo er nach rechts und zur Straße sah, wann immer ihm die Blätter das erlaubten.
Er war schon beinahe überzeugt davon, sein Ziel verfehlt zu haben, als er die Limousine entdeckte, die auf dem Kiesbett neben der Straße hielt.
36
In der Nähe von Fayetteville, West Virginia
10. Mai
Burt Seeger lenkte das Wohnmobil über die tiefen Spurrillen und sah nach hinten, wo Susie bereits das Interesse an dem kleinen Ofen verloren hatte und mit dem mechanischen Arm herumspielte, an dem der Fernseher hing.
»Setz dich lieber, Süße. Du wirst noch hinfallen.«
»Nein, das werde ich nicht. Ich kann sehr gut das Gleichgewicht halten«, erwiderte sie, zog eine Schublade auf und untersuchte die Trinkgläser,
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