Die Unvergänglichen: Thriller (German Edition)
wenn es kein Panzerglas war, konnten die Kugeln abgelenkt werden und den Mann töten, den sie zu beschützen hatten. Auf Richard machten sie jedoch eher den gegenteiligen Eindruck.
»Was zum Henker tun Sie hier?«
Es dauerte einen Moment, bis Richard den Blick von dem Lauf abwenden konnte, der auf ihn gerichtet war, doch schließlichgelang es ihm, den Mann, der auf dem Rücksitz saß, anzusehen.
Auf den Fotos in Zeitschriften und Zeitungen sah Andreas Xander immer aus wie der neunzigjährige Mann, der er war, doch von Nahem wirkte er sogar noch älter.
Er hatte graue Haut, die von geplatzten Blutgefäßen überzogen war und von den hervorstehenden Wangenknochen herabhing. Das Weiß seiner Augen war milchig-gelb geworden und sie waren rot umrandet, als er seine beiden ungebetenen Gäste ansah.
»Sagen Sie ihnen, sie sollen die Waffen runternehmen«, sagte Richard und richtete die Pistole, die er von Seeger erhalten hatte, auf den alten Mann. »Normalerweise tun wir so etwas nicht, und Sie wollen doch nicht, dass wir nervöser werden, als wir es ohnehin schon sind.«
»Was zum Teufel ist los mit Ihnen beiden?«, erwiderte der Alte und griff nach der Sauerstoffflasche, die neben ihm stand, um den Zufluss in seine Nase zu erhöhen. »Sind Sie völlig verrückt?«
Draußen wählte einer der beiden Männer eine Nummer auf seinem Handy. Sie hatten nicht mehr viel Zeit.
»Beantworten Sie meine gottverdammte Frage!«
»Welche Frage?«, wollte Richard wissen.
Dieses Mal betonte Xander seine Worte, als ob er mit einem kleinen Kind sprechen würde. »Sind. Sie. Völlig. Verrückt?«
»Ich finde nicht, dass Sie Leute beleidigen sollten, die eine Waffe auf Sie richten«, mischte sich Carly ein.
Xander hob einen Arm und sie zuckten beide zurück, aber er deutete nur mit einem von Arthritis gezeichneten Finger aufs Armaturenbrett. »Die Schlüssel stecken nicht und wir haben einen Platten, Sie Flittchen. Vermutlich, weil Sie darauf geschossen haben. Was haben Sie für einen Plan? Wollen Sie einfach nur hier sitzen und darauf warten, dass das SWAT-Team Ihr Hirn auf den Polstern verteilt?«
»Haben Sie mich gerade ›Flittchen‹ genannt?«, entgegnete Carly. »Großer Gott. Wie alt sind Sie doch gleich?«
»Es reicht!«, verkündete Richard. »Hören Sie, das tut uns sehr leid, Mr. Xander. Ich habe versucht, Sie auf herkömmliche Weise zu kontaktieren, aber ich bin nie an Ihrer Telefonzentrale vorbeigekommen.«
»Verschwinden Sie«, sagte der alte Mann. »Sollten Sie verschwunden sein, wenn die Polizei eintrifft, werde ich vergessen, dass das hier jemals passiert ist.«
»Ich bin Richard Draman, Sir. Ich habe auf dem Gebiet der Progerie biologische Forschungen angestellt. Tatsächlich …«
»Ist es zu viel verlangt, ab und zu mal die Zeitung zu lesen? Richard Draman ist vor einigen Wochen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.«
»Ich habe nicht in diesem Flugzeug gesessen, Mr. Xander. Ebenso wenig wie August Mason.«
38
1800 Meilen östlich von Australien
10. Mai
Chris Graden hatte diesen Teil des Inselkomplexes zuvor noch nie betreten, und er wusste nicht, was er von der Einladung halten sollte. Der Garten mit den großen Palmen und dem in die Landschaft integrierten Pool mit grünlich-grauem Boden war umwerfend schön. Wie bei allem, was Karl anfasste, war auch hier eine beeindruckende Kombination aus Ästhetik und Funktion entstanden, eine Zuflucht im Freien, die selbst von oben nicht einsehbar war.
Graden folgte dem Wachmann über die Steinfliesen und war sich der Kameras bewusst, die seine Schritte verfolgten. Die Sicherheitsmaßnahmen auf der Insel wurden zunehmend einengender und obsessiver. Wen sollten die Kameras beobachten? Die Beobachter?
Er fragte sich, ob Karl diesen Ort jemals verließ. Ob er irgendwo anders noch ein Leben hatte oder ob er vorhatte, die Fäden der Welt für das kommende Jahrtausend von dieser Insel aus zu ziehen.
Sie gingen durch eine kleine Lücke zwischen den Bäumen, und dann verabschiedete sich sein Begleiter und deutete auf einen Tisch, an dem Karl und Oleg bereits saßen.
»Bitte«, sagte Karl und deutete auf einen freien Stuhl. Graden setzte sich und sagte sich innerlich, dass er sich keine Sorgen machen müsse. Nichts von all dem, was mit Richard und Carly geschehen war, war seine Schuld. Er hatte die Rolle, die sie ihm zugewiesen hatten, pflichtbewusst gespielt.
»Hatten Sie einen guten Flug?«
Der Small Talk wirkte bei diesem Mann irgendwie deplatziert.
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