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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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wuchs heran, und selbst der süße Jacopo war schon zu groß, um ihn noch in den Arm zu nehmen …
    »Warum drehst du dich dauernd um, Modesta?«
    »Ich schaue mir Pietros Tochter an, Joyce, die dort hinten sitzt. Sieh nur, sieh, nun hat er sie sich auf die Schultern gesetzt. So sieht sie natürlich besser als in der ersten Reihe … Wie nett Pietro mit seiner Tochter ist!«
    »Mir macht er angst.«
    »Ich würde wer weiß was dafür geben, ihn zum Vater zu haben.«
    »Weil du keinen Vater hattest.«
    »Ich hatte einen, und ich möchte wieder einen haben. Und weißt du was: Von heute an ist Pietro mein Vater,und dieses kleine Wesen … auf seinen Schultern sieht sie aus wie ein Püppchen … ist meine Schwester.«
    »Komm, sei still, Kleines, und schau nur, wie wunderschön Mela in dieser Tunika aussieht. Wer hätte das gedacht?«
    »Und wenn du sie erst hörst …«
    Wie Modesta einst in Melas Augen vorausgesehen hatte, verwandelte sich das schiefe Dreieck ihres Gesichts im Scheinwerferlicht in eine abstrakte und intensive Größe. Ein musizierender Engel? Ein aus der Idee entstehendes Bild? Joyce hätte gesagt: »Ein Traumengel, der Räume und Gefühle aus dem tiefsten Innern heraufbeschwört.« Modesta ist nicht verwundert, als der Applaus in die vollkommene Stille der Hände bricht, die reglos auf den Tasten liegen, sicher wie eine Lavablüte. Sie wunderte sich damals nicht und auch nicht im Konservatorium von Palermo. Denn als sie sich damals trafen, verstanden die Nerven und Venen ihres Körpers es, in der Zukunft zu lesen, während Modesta heute verstört auf Prandos Wunde starrt, auf Jacopos Lächeln, auf Bambús vor Stolz auf ihren erfolgreichen Schützling gerötetes Gesicht, ohne daß sich ein Bild oder eine Intuition den Weg durch ihre melancholiegetrübten Sinne bahnt, sie nicht mehr in den Armen halten zu können. Sie gehen fort, die Kinder, sie festzuhalten würde nur ihre Ablehnung heraufbeschwören. ’Ntoni haßt Stella seit langem und geht ihr aus dem Weg.
    »Verzeih, Modesta, aber mit dir kann ich reden … Es ist nicht, daß ich sie nicht sehen wollte, aber mich bedrückt ihr ewiges ›Mein Picciriddu … mein Picciriddu!‹ Gestern habe ich ihr einen Jungen meines Alters vorgestellt, keinen Mann, sondern einen Junge wie mich. Und Teufel noch eins, da sagt sie doch tatsächlich zu ihm: ›Gebt acht, daß ’Ntoni sich nicht erkältet, so empfindlicham Hals, wie er ist!‹ Unerträglich! Bei der ersten Gelegenheit werde ich abhauen, ich weiß nicht, wohin, aber ich haue ab.«
    Dann war die Gelegenheit da: das Ensemble von Angelo Musco. ’Ntoni wurde für die Tournee engagiert und reiste im September ab. Besser ein Trupp Schauspieler als ein Kriegsregiment. Ciro, der unglücklich in Bambú verliebt war, hatte sich freiwillig für den Spanischen Bürgerkrieg gemeldet, nur um der dummen Gans zu entkommen, die seine Mutter war. So nannte Prando fast alle erwachsenen Frauen, Stella eingeschlossen: »Du bist ja nett und lieb, Stella, aber eine dumme Gans wie die meisten Frauen deines Alters! Mama sagt, das sei eine Frage der Bildung, aber ich bezweifle das.«
    »Was ist los, Kleines, warum klatschst du nicht?«
    »Bitte, Joyce, nenn mich nicht Kleines, schon gar nicht in aller Öffentlichkeit.«
    »Aber es hört uns doch niemand. Warum klatschst du nicht? Sag bloß, daß sie in Palermo besser war.«
    »Nein, nein, nur …«
    »Warum drehst du dich denn dauernd zu Pietro um? Das ganze Konzert über schon. Das ist nicht gerade höflich Mela gegenüber.«
    »Gleich beginnt die Posse, Jò. Du glaubst nicht, wie komisch ’Ntoni ist. Jetzt kommt endlich die Geschichte von Giufà, mal sehen, wie Pietros Kleine darüber lachen wird … Sieh nur, wie sie auf den zugezogenen Vorhang starrt, wahrscheinlich hat Pietro ihr gesagt, daß gleich Giufà kommt.«
    Pietro hat meinen durch die Menge schweifenden Blick schnell bemerkt. Nach einer kleinen Ewigkeit der Unentschlossenheit, die ihm Schweißausbrüche bereitet, stemmt er seinen schweren Körper hoch, sorgsam daraufbedacht, nicht auf all die feinen, um seine Füße raschelnden Kleider zu treten.
    »Schau, Jò! Der arme Pietro, er sieht aus wie ein Elefant, der im Garten zwischen Blumenbeeten läuft.«
    »Und du lachst ihm ins Gesicht. Ihr seid merkwürdig, er wird beleidigt sein, ich verstehe euch wirklich nicht!«
    »Pietro und beleidigt? Was redest du da?«
    »Eure Verbundenheit ist beängstigend.«
    »Euer Durchlaucht, Mody, kann ich Euch irgendwie dienlich

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