Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Das liegt an der amerikanischen Uniform, aber ich wollte lieber sofort herkommen und nicht noch Zeit mit Umziehen verlieren. Außerdem, was hätte ich anziehen sollen, wie, Bambú, wo mir doch nichts mehr paßt.«
»Aber ja, Tante, sogar Prandos Hemden sind ihm zu eng.«
Warum erkenne ich ihn nicht? Dabei hatte Nina mich gewarnt: »Klar, Mody, dein Jacopo hat dich die ganzeReise über getragen, als du im Fieber lagst.« Aber sich etwas vorzustellen und etwas mit eigenen Augen zu sehen und anzufassen ist zweierlei. Mit den Händen auf dieser breiten Brust suche ich meinen Jacopo. Und erst als ich seinen grauen Augen hinter den beschlagenen Brillengläsern begegne, finde ich ihn. Es ist albern, ich weiß, und ich kann verstehen, daß Bambolina in Gelächter ausbricht, aber ich muß ihm die Brille abnehmen, um sicher zu sein. Nackt und bloß weiten sich seine Pupillen sanft und verlegen, und der traurige, sittsame Blick – wie Beatrice immer über Onkel Jacopo sagte – ist aufmerksam auf mich gerichtet, wie auf dem Foto. »O ja, wäre er nicht so dünn und würde nicht immer so gebeugt daherkommen, wäre Onkel Jacopo ein richtig schöner Mann …« Onkel Jacopo geht gebeugt unter seiner Bürde von dannen, während mein Jacopo sich seufzend die Brille auf die leicht gekrümmte, schmale Nase zurückschiebt.
»Oh, danke, Mama, jetzt kann ich dich wieder sehen! Und ja, Bambolina, ich bin wirklich so gut wie blind. Stell dir vor, daß ich dich von weitem selbst mit Brille mit Modesta verwechselt habe.«
»Du hast einfach nur sie im Kopf und siehst sie überall.«
»Und du? Ein schöner Empfang, so was! Mama, weißt du, daß sie mich die ganze Zeit mißtrauisch angestarrt hat, bis ich direkt vor ihrer Nase stand?«
»Ich hatte ihn mit einem dieser amerikanischen Riesen verwechselt.«
»Schäm dich! Und ’Ntoni sieht mich an, als sei ich ein Gespenst. Und du, Mama, bist ganz bleich und sagst nichts? Das liegt alles an dieser vermaledeiten Uniform. Los, gehen wir, ich werde sie ausziehen, ich hab die Nase voll!«
Während er so redet, verströmt sich der Freudenblitz in mir zu einer nie gefühlten Glückseligkeit, doch sobald er die Umarmung lockert und mich loslassen will, verleitet mich der weiche, unsichere Sand unter meinen Füßen dazu, dumme Sachen zu sagen, über die Bambú zu Recht lacht:
»Nein, Jacopo, nicht loslassen, nimm mich auf den Arm wie damals, als du und Pietro auf die Insel kamt, um mich zu befreien.«
»Sicher, sicher, daran erinnerst du dich? Wie ist das möglich, du lagst doch im Delirium?«
»Nein, ich weiß es nicht mehr, aber Nina hat es mir erzählt.«
»Genau, Nina! Wo ist sie denn? Ich möchte sie so gerne wiedersehen. Was für eine mutige Frau, Bambú, das kannst du dir nicht vorstellen.«
»Oh, erzähle, Jacopo, und halte mich ganz fest dabei.« In Jacopos Armen lausche ich noch einmal den Abenteuern unserer Reise, und erst jetzt spüre ich mit allen Sinnen, daß die Gefangenschaft, daß der Krieg zu Ende sind. Erst seine Stimme macht mir bewußt, daß ich wieder an die Zukunft denken kann. Wie Jacopo sagt, der mich in einen Sessel bettet und mich mit einem Schal zudeckt … wie sagt er?
»Ja, Mama, die schlimmsten Greuel sind vorbei, zumindest für uns hier in Italien. Aber ich kann dir einiges erzählen, was ich gesehen habe bei diesen Alliierten! Ich konnte es kaum erwarten, zurückzukehren und mit euch darüber zu sprechen: Ihre Intellektuellen kennen keinen Marxismus, und ich rede von Intellektuellen, Studenten wie ich, merkwürdige Studenten, die nur in einem Fach spezialisiert sind. Roosevelt ist bestimmt ein großer Mann, aber vom Typ unseres alten Antonio, ein freiheitlicherSozialismus aus Rosenwasser. Aber unter den jungen Leuten habe ich Sachen gesehen! Verbote, Diskriminierung, Rassenhaß. Stell dir vor, es gab einen gewissen Bob, den ich ins Herz geschlossen hatte, ich wußte nicht, daß er nachts, er lag mit mir auf der Krankenstation, trotz seiner angeschlagenen Gesundheit mit einer Gruppe hinausging, um irgendeinen schwarzen Kommilitonen zu verprügeln, den erstbesten, wie er mir später mit entwaffnender Naivität gestand: ›Die erste schwarze Fresse, die uns über den Weg lief‹ … Aber nun liegt diese Vergangenheit hinter mir, und wenngleich wir nicht pessimistisch sein dürfen, dürfen wir doch auch nicht glauben – wie leider die meisten Menschen –, daß mit dem Ende des Faschismus alles besser wird. Ich, Mama, hatte in dem Jahr im Krankenhaus den
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