Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
Hermes verdeckt, und warteten. Hinter ihnen erstreckte sich die lange Auffahrt bis hinunter zum himmelblauen See, wo die Fähre gerade wieder ablegte. Gestern Nacht hatte dieselbe Fähre die goldene Kutsche der Kaiserin gebracht – Almas Kutsche.
Jonas’ Blick irrte über den Platz, die leeren Tische, die Stühle mit den hohen Lehnen und den schimmernden Thron in der Mitte, auf einem besonders hohen Podest. Dort würde Alma Platz nehmen. Könnte sie ihn von da aus sehen?
Jonas reckte den Hals und duckte sich gleich wieder. In die Menge vor ihm kam Bewegung, dann standen alle auf einmal still. Zwei prachtvoll gekleidete Trabanten traten aus dem Schloss, das Sonnenlicht blitzte von ihren flaggenbehängten Fanfaren.
Jonas zuckte zusammen, als sie erklangen, und spürte gleich Oles Hand auf seinem Arm. Oles Lippen waren schmal, aber er nickte aufmunternd. Von nahem sah er reichlich unwahrscheinlich aus unter seiner Perücke.
»DAS HOHE GERICHT!«, krähte jetzt einer der Herolde, und gleich darauf schritten, um Würde bemüht, drei weitere Trabanten auf den Platz. Wie immer glichen sie sich aufs Haar – es gab sie nie nur einmal, ganz so, als seien dem Schöpfergott über den Trabanten die Ideen ausgegangen.
Das war ein befremdlicher Gedanke und Jonas schob ihn schnell beiseite.
Diese drei Trabanten waren in schwarze Talare gehüllt, jeder trug ein schweres, in schwarzes Leder gebundenes Buch unter dem Arm und eine wollige, graue Perücke auf dem Kopf. Fast im Gleichschritt traten sie an ihre Tische, legten mit großer Geste die Bücher ab und nahmen, den Saum ihrer Talare nach hinten werfend, mit hoch erhobenen Köpfen Platz. Aus leeren Augen starrten sie wortlos in die wispernde Menge.
Wieder erklangen die Fanfaren.
»SCHÄTZT EUCH GLÜCKLICH!«, krähte einer der Herolde dann.
»DIE UNFEHLBARE HÖCHSTE KAISERLICHE HOHEIT!«, fiel der andere ein.
»KAISERIN AN AIS STATT!«, übernahm der erste wieder – aber da war der Jubel schon losgebrochen.
Die Trabanten vor ihnen juchzten, johlten, brüllten. Arme schossen in die Höhe, Hälse wurden lang und länger, Blumen, von denen Jonas nicht wusste, woher sie auf einmal kamen, flogen auf den Platz und verwandelten das Pflaster nach und nach in ein Blütenmeer, während die Fanfarenbläser weiterkrähten.
»HERRSCHERIN ZU WASSER UND ZU LANDE!«
Jubel.
»HERRSCHERIN ÜBER KÖRPER UND GEIST!«
Jubel.
»DIE KAISERIN KANARIAS!«
In Jonas stieg eine ungekannte Wut hoch. Niemand schien zu bemerken, dass es doch nur eine alte, feiste Frau war, die nun im Blütenregen aus dem Schloss trat und mit sich bauschenden, goldglänzenden Röcken das Podest erklomm, um von dort oben, vor ihrem im Sonnenlicht schimmernden Thron, huldvoll in die entzückte Menge zu winken. Und doch war es bloß Alma, bis ins wächserne Gesicht und die eisgrauen Haarschnecken hinein. Jonas ballte die Fäuste. Oles Hand lag immer noch auf seinem Arm.
Auf Almas Geheiß – nicht mehr als ein Handzeichen – beruhigte sich die Menge. Kanarias Kaiserin hockte sich auf ihren Thron, ein triumphales Lächeln lag auf ihren farblosen Lippen.
Die Wut füllte Jonas jetzt ganz aus, und erst, als er den Erbprinzen erspähte, löste sich der Krampf in seiner Faust. Leopold war neben dem Podest stehen geblieben, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Jupiter sah aus, als hätte ihn der Sturm der vergangenen Nacht für immer verheert. Kraftlos hing Leopold das schwarze Haar in die Stirn, leblos stierte er in die bunte Blütenpracht zu seinen Füßen.
»DER OBERSTE RICHTER«, krähte einer der beiden Herolde.
Es war jetzt so still, dass Jonas den Richter in der Mitte mit den Buchseiten rascheln hörte. »Wir eröffnen hiermit feierlich«, murmelte der, »den 33. Prozess gegen die Unwahrscheinlichkeit.« Der Richter räusperte sich. »Ich verlese die feierlichen Grundsätze der Höchsten Kaiserlichen Verfügung.« Bevor er sich wieder über sein dickes Buch beugte, stierte er in die Menge. »Paragraph 1, Absatz 1. Nichts ist wirklich außer Kanaria . Was Kanaria ist, bestimmt die Höchste Kaiserliche Majestät. «
Zustimmendes Gemurmel unter den Zuschauern. Man wandte einander die ununterscheidbaren Köpfe zu und nickte beifällig.
Der Richter fuhr fort. »Paragraph 1, Absatz 2. Alles Unwahrscheinliche beleidigt die Wirklichkeit Kanarias und damit die Höchste Kaiserliche Majestät .«
Noch einmal Gemurmel, noch eifriger.
» Was unwahrscheinlich ist «, nuschelte der Richter, » legen die
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