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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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in den Traumgefilden. Ein seltsames Gefühl von Déjà-vu beschleicht uns. Die Wurzeln, die roten Blätter, die Früchte, die armen Kinder mit den Spiegelscherbenaugen.
    »Wir danken Ihnen, Miss Hawthorne«, sagt Lucifer.
    »Der Traum in einem Traum«, sagt Scarlet, »warum das alles?«
    »Man kann den Träumer nicht töten.« Lucifer geht auf und ab, während er redet. »Er ist Morpheus, er hat uns erschaffen.
« Der Lichtlord wirkt angespannter als in den Traumgefilden. »Aber wir können ihn glauben lassen, dass die Wirklichkeit eine andere ist.« Er sieht jedem in die Augen. »Morpheus ist in dem Traum gefangen, den Sie alle geträumt haben. Es war einst nur mein Traum, doch jetzt ist es auch seiner. Er wird dort alles vorfinden, was er braucht. Das, was nicht schon da ist, wird er sich erträumen. So läuft das, Miss Hawthorne. Der Träumer erträumt sich die Welt, so wie die Welt sich ihn erträumt. Alles ist nur ein Traum in einem Traum. Die Wirklichkeit ist das, was wir daraus machen.«
    »Die Engel leben also.«
    »Diejenigen Engel, die nicht zu Eistoten wurden … ja, sie leben.«
    »Dann waren die Wendigo nur ein Ablenkungsmittel?«, fragt sie.
    »Ja.«
    »Und Keanu?«
    »Manche Dinge«, sagt Lilith, »passieren eben.«
    Scarlet sieht Jake an.
    Unterwegs hat er ihr alles erzählt. Wie er im Paramount-Theater die Tür zur Hölle geöffnet hatte. Er hatte den Wendigo abgeschüttelt und war durch die Pforte hindurchgegangen und hatte Wittgenstein getroffen. Die beiden waren durch die verschneiten Regionen der Hölle gewandert, auf der Suche nach einem Ausweg. Dann waren sie im Central Park auf die regungslosen Körper gestoßen, die auf dem gelben Steinweg lagen. Mortimer Wittgenstein hatte sich erboten, in den Traumgefilden nachzuschauen, und Jake hatte über die Körper gewacht. Es gab immerhin seltsame Kreaturen hier unten, und dem Zufall sollte man nichts überlassen.
    Dann waren wir auf einmal aufgewacht.
    Und der Rest ist Geschichte.
    Eine Geschichte, in der wir noch mittendrin stecken.
    »Aber wenn er es bemerkt«, gibt Scarlet zu bedenken, »wenn er merkt, dass alles eine Lüge ist.« Oder, viel schlimmer noch: »Wenn er von dort entwischt.«
    »Wir müssen die Traumregion versiegeln.« Lucifer sieht nicht glücklich aus. »Nur ein Traum, den man träumt, wenn man stirbt, ist ein Traum, der auf ewig fortbesteht.« Er seufzt. Lilith steht neben ihm. Sie legt ihm die Hand auf die Schulter.
    Virginia Dare sieht die beiden mit eisig kalten Augen an. Ihr schneeweißes Haar sieht zerzaust aus. Und schmutzig wie der Herbst, wenn er kälter wird.
    »Es ist das, was wirklich zählt«, sagt Lucifer und geht langsam auf den Baum zu. »Man kann das Paradies nur für andere finden, aber nie für sich selbst.« Lilith ist bei ihm.
    »Warum lebe ich?«, fragt Scarlet. Sie deutet auf Wittgenstein, der neben ihr steht. »Ich müsste tot sein und er auch.«
    Lucifer lächelt.
    Dann gibt er ihr die Antwort.
    Er nimmt Lilith bei der Hand.
    Sie knien sich vor den Lebensbaum, und die Wurzeln berühren zärtlich ihre Gesichter. Sie umarmen den Lichtlord und seine Gefährtin, und dann beginnen sie gierig aus ihnen zu trinken.
    Die Wurzeln pulsieren, und die Körper der beiden zucken.
    Sie sinken zu Boden.
    Werden von den Wurzeln verdeckt.
    »Jetzt ist es vorbei«, sagt Virginia Dare. Lange betrachtet sie ihre Eltern, die tot im Wurzelwerk versinken. Sie kann den
Blick nicht von ihnen lösen, berührt die Stelle, an der sie eben noch standen. »Ihr Tod hat die Traumgefilde versiegelt. Niemand, der dort ist, wird sie verlassen können.«
    Sie geht zu dem Lebensbaum und pflückt die frisch gereifte Frucht. Es ist ein Apfel, rot und fest, saftig und voller Leben. Sie beißt hinein, und das Herz, das in ihrem Vater und ihrer Mutter geschlagen hat, beginnt nun in ihr zu schlagen. Sie ist eine Nephilim, und sie spürt die Veränderung und beißt erneut in den Apfel. Tränen füllen ihre Augen. Es ist Eis, das zerbricht und dünne Linien in den blauen Iriden zieht. Sie beginnt zu weinen, weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben spürt, was Einsamkeit, Schuld und Liebe sind.
    Virginia Dare, die Keanu Chinook hatte ermorden lassen, wird neu geboren, während Lucifer und Lilith für immer aus der Welt gehen. Wir stehen da wie die verlorenen Kinder mit den Spiegelscherben in den Augen. Niemand wird uns erlösen, wie auch sie niemand erlösen wird. Das Leben wird sein, was wir ihm entlocken. Morpheus ist noch immer der Träumer, der seinen

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