Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia
sich. »Wer hatte denn ein Interesse daran, zu vertuschen, was damals in London geschehen ist?«
»Nachdem sich die beiden großen Elfenhäuser verbunden hatten, war die neue und überaus junge Mylady Manderley
die engste Beraterin der Regentin geworden. Vor zwei Jahren dann ist die alte Regentin gestorben. Kurz darauf ist die neue Mylady Manderley zur Regentin aufgestiegen.« Ich seufzte. »Sie hat alle Schriften und Dokumente, die sich mit der Zeit zwischen den Whitechapel-Aufständen von 1888 und der Manderley-Krise beschäftigten, vernichten lassen.«
»Warum?«
»Das weiß niemand.«
Scarlet erschauderte. »So viele Sterne«, flüsterte sie, »und doch ist es dunkel.«
Jake kniete sich neben sie. »Was ist los?«
»Nichts. Es ist nur … wie ein Echo … von weit her.« Sie wirkte verwirrt, ganz durcheinander.
»Ich beschloss«, fuhr ich mit meiner Erzählung fort, »einen Schuss ins Blaue zu wagen, sozusagen.«
Die beiden lauschten meinen Worten, während ich hin und her lief, zu unruhig, um still dazustehen.
»Die einzige mythische Gestalt, die auf nordamerikanischem Boden lebt und dem Lichtlord nicht unähnlich ist«, begann ich, »ist der Kojote. Er hat einst seinem Schöpfer, so sagt man, das Licht gestohlen, um es den Menschen zu schenken.« Ich zuckte die Achseln. »Es war nur eine verrückte Idee. Suche den Kojoten und frage ihn, ob er etwas weiß. Das war mein Plan. Und da jedermann weiß, dass die Spinnen und der Kojote einander sehr verbunden sind, habe ich mich zur Brooklyn Bridge aufgemacht.«
Das Ende der Geschichte war nicht schwer zu erraten.
Nein, nicht wirklich.
»Es gefiel den Spinnen nicht, dass ich Lycidas und den Kojoten in einem Atemzug nannte.« Ich machte ein unschuldiges Gesicht. »Sie waren richtig wütend, fielen über mich her.
Und als ich erwachte, da fand ich mich an diesem Ort hier wieder.« Ich seufzte. »Das ist die ganze Geschichte. Ich befreite mich aus dem Kokon, und dann sah ich, dass noch zwei weitere Kokons in der Halle lagen.« Das war alles.
Und hier stehen wir.
Scarlet berührt das Amulett. Sie sieht traurig aus. »Was ist das?«, fragt sie, plötzlich über alle Maßen erstaunt.
Auch Jake sieht neugierig an mir vorbei.
Ich drehe mich um.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, gestehe ich. »Es sieht aus wie …« Ich gehe darauf zu. Es sieht aus wie ein normales Bauelement, gewöhnlich und nicht besonders elegant.
»Das ist«, sage ich, »eine Tür.«
In der Tat, eine Tür. Unglaublich, aber mitten in der Halle steht eine Tür. Sie ist dort, wo vorher nichts war. Sie ist einfach da. Erschienen, aufgetaucht oder materialisiert. Nur ein Rahmen aus hellem Holz mit einer einfachen Tür darin. Frei stehend, wie ein magischer Bühnentrick. Man kann um sie herumgehen, und von allen Seiten ist sie nichts anderes als eine Tür.
»Eine Tür«, flüstere ich, noch immer fasziniert. »In der Tat, eine Tür.«
Scarlet tritt neben mich. »Was Sie nicht sagen. Aber was ist dahinter?«
Jake geht schnell auf die andere Seite. »Nur die andere Seite der Tür.«
»Wo kommt sie her?«
Keiner gibt ihr eine Antwort, weil niemand sie kennt.
Die Tür steht einfach so da, mitten in der Halle, die wie eine Kathedrale ist.
»Was passiert nur, wenn man sie öffnet?« Scarlet berührt zögerlich das helle Holz.
Die Klinke sieht rostig aus, sie schimmert karmesinrot, hat Kratzer und glänzt nur matt. Scarlets Finger schließen sich um die Klinke.
»Was wird jetzt geschehen?«, fragt Jake.
Wir stehen alle vor der geheimnisvollen Tür.
»Was verbirgt sich dahinter?« Furchtsam lässt Scarlet die Klinke los und tritt zur Seite. »Was«, flüstert sie erneut, »verbirgt sich dahinter?«
Jake ist bei ihr, viel näher, als er es eben noch war.
Solitaire – das ist es, was wir denken.
Sonst nichts.
Nur Solitaire .
»Woher, in aller Welt, soll ich das denn wissen?«, stelle ich die Gegenfrage, trete vor und drücke die rostige Klinke einfach nach unten. Das ist genau die Lösung, nach der wir alle gesucht haben. Es kurzerhand auszuprobieren – war das nicht schon immer der einfachste Weg, um den Dingen auf den Grund zu gehen?
Mit einem Krächzen öffnet sich die Tür. Einer nach dem anderen treten wir ein, in einen Raum aus Eis und Winterszeit, wo klirrende Dinge wie Spiegel ihre eigenen Tränen fressen.
»Willkommen in meiner Hölle«, sagt eine Frau, die glei ßend weißes Licht am Leib zu tragen scheint. Sie breitet die Arme aus und lächelt wie Schnee, der
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