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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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uns?«
    »Wohl kaum. Ich glaub, es geht über unsern Herrn Jesus.«
    Nell verzog das Gesicht. Sie wand und krümmte sich vor dem Kruzifix und ertrug es nicht, wenn in ihrer Gegenwart der Name Christi fiel. Mary Jane hingegen ging zur Kirche, so oft sich die Gelegenheit ergab. Man hatte ihr erzählt, dass Gott alles verzieh. Schließlich war der Herr aus dem Grabe auferstanden und hatte die Menschen ermuntert, von seinem Blut zu trinken. Genau wie Miss Lucy.
    Mary Jane stellte das Buch an seinen Platz zurück. Algernon begann zu schlucken, und Mary Jane hob seinen Kopf. Etwas steckte ihm im Hals. Sie half ihm aufzustoßen wie einem Säugling und ließ seinen Kopf wieder sinken. Ein rötlicher Fleck sickerte ins Kissen.
    »Steig hernieder und erlöse uns von der Tugend, o Mutter der Pein«, sagte er deutlich vernehmbar. Dann verlor er wieder das Bewusstsein und begann zu schnarchen.
    »Hört sich doch noch recht lebendig an, oder?«
    Nell lachte. »Ach, geh mir doch fort, du irländische Kuh!«
    »Silber und Sichel mir Wunden schlagen, doch böse Worte kann ich ertragen.«
    Die andere Frau knöpfte sich das Hemd über ihren pelzbewachsenen Brüsten zu.
    »Kitzeln die ganzen Haare denn nicht?«
    »Bis jetz’ hat sich jedenfalls noch keiner beschwert.«
    Der Dichter hatte lediglich eine ordentliche Tracht Prügel verabreicht
haben wollen. Als sein Rücken mit Blut überströmt war, hatte er sich von ihnen beißen lassen. Für jeden anderen hätte das den sicheren Tod bedeutet. Danach war er ruhig gewesen wie ein Säugling.
    Seit ihrer Verwandlung machte Mary Jane nicht mehr allzu oft die Beine breit. Zwar wollten manche Männer es gern auf die altmodische Art, doch wollten die meisten nur gebissen und zur Ader gelassen werden. Schaudernd vor unsittlicher Lust dachte sie an das Gefühl zurück, als Miss Lucy sich an ihre Kehle gesetzt und mit winzigen Zähnen an ihrer Wunde genagt hatte. Dann der Geschmack von Lucys Blut, und das Feuer, das sie durchströmte, sie verwandelte.
    »Peinsame Mütter, soso«, sagte Nell und gürtete ihr Kleid um die mit dichtem rotem Haar bewachsene Taille.
    Mary Janes warmblütiges Dasein war ihr nur mehr nebelhaft im Gedächtnis. Sie war mit Henry Wilcox nach Paris gefahren; so viel wusste sie. An Irland und ihre Geschwister aber konnte sie sich beim besten Willen nicht entsinnen. Von ihren wenigen Bekannten hatte sie erfahren, dass sie von Wales nach England gekommen, in einem Freudenhaus im West End gehalten worden war und einen Ehemann begraben hatte. Dann und wann befiel sie eine flüchtige Erinnerung, wenn ihr ein vertrautes Gesicht begegnete oder sie ein altes Andenken entdeckte, doch ihr einstiges Leben war wie ein Kreidebild im Regen: verwischt und zerlaufen. Seit ihrer Verwandlung aber trübte nichts mehr ihren Blick, als ob ein schmutziges Fenster reingewaschen worden sei. Bisweilen, wenn ihr das von Gin geschwängerte Blut eines anderen in den Adern strömte, kam ihr altes Ich zum Vorschein, und sie fand sich kotzend in der Gosse wieder.
    Nell beugte sich über Algernon, setzte die Lippen an einen Biss auf seiner Schulter und begann lautlos zu saugen. Mary Jane fragte sich, ob das Blut eines Dichters kräftiger sein mochte als
das eines gewöhnlichen Menschen. Womöglich redete Nell demnächst nur noch in Versen und Reimen. Das wäre vielleicht ein Spaß.
    »Nun lass ihn schon in Frieden«, sagte Mary Jane. »Der hat genug gehabt für seine Guinea.«
    Lächelnd setzte Nell sich auf. Sie bekam allmählich gelbe Zähne, und ihr Zahnfleisch war ganz schwarz. Bald würde sie in den Dschungel von Afrika auswandern müssen.
    »Dass der im Ernst’ne Guinea blechen tut. So viel Moos kann’s doch gar nich’ geben inne Welt.«
    »In unserer Welt jedenfalls nicht, Nell. Aber er ist nun mal ein feiner Herr.«
    »Mit feine Herrn kenn ich mich aus, Mary Jane. Die meisten von den’ sinn billich un’ gemein, so wie’ne Woche altes Schweineblut. Un’ klamm wie’n Rattenarsch dazu.«
    Arm in Arm verließen sie das Zimmer und stiegen die Treppe hinab. Algernons Freund Theodore erwartete sie bereits. Er musste wohl ein guter Freund sein, wenn er Mary Jane und Nell bis heraus nach Putney brachte und obendrein auch noch die ganze Zeit lang achtgab. Viele Menschen hätten dies als widerwärtig angesehen, doch Theodore war neugeboren und demnach liberal gesinnt.
    »Wie geht es Swinburne?«, fragte er.
    »Er wird’s überleben«, erwiderte Mary Jane. Die meisten Mädchen hatten für einen Kunden

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