Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
Vom Netzwerk:
Mr. Morrisons mit widerstrebendem Lächeln entgegennehmen müssen, gerade so, als sei er das niedrigste Lebewesen auf Erden und sie Prinzessin Alexandra. Für solch einen Fehltritt hätte Onkel Henry sie den Rohrstock spüren lassen.
    »Ich fürchte, ich bin schrecklich beschäftigt«, sagte John.
    »Einer unserer treuen Gehilfen ist verschollen«, erklärte Mr. Morrison. »Sie sind auf Ihren Wegen nicht zufällig einem gewissen Montague Druitt begegnet?«
    Der Name bedeutete ihr nichts.
    »Das hatte ich befürchtet. Ich möchte ohnehin bezweifeln, dass Druitt allzu sehr in Ihr Fach schlägt.«
    Mary Jane tat, als habe sie keinen Schimmer, was Mr. Morrison meinte. John spielte geistesabwesend mit einem chirurgischen Instrument. In ihr keimte der Verdacht, dass es sich bei diesem Gesellschaftsbesuch um kein sehr wohlbedachtes Unterfangen handelte.
    »Wenn Sie mich entschuldigen möchten«, sagte Mr. Morrison. »Sie haben gewiss einiges zu besprechen. Gute Nacht, Miss Lucy. Dr. Seward, wir unterhalten uns später.«

    Mr. Morrison zog sich zurück und ließ sie mit John allein. Sowie die Tür ins Schloss gefallen war, trat sie ganz nahe an ihn heran, presste ihre Hände gegen seine Brust, ihr Gesicht an seinen Kragen, die Wange an den weichen Stoff seiner Weste.
    »Lucy.« Es war ihm zur Gewohnheit geworden, den Namen laut vor sich hin zu sagen. Er blickte Mary Jane an und sah das zweifach gestorbene Mädchen auf dem Friedhof von Kingstead.
    Seine Hände klammerten sich um ihre Taille, wanderten dann den Rücken hinauf und umfassten schließlich ihren Hals. Er drückte zu und stieß sie auf Armeslänge von sich. Seine Daumen gruben sich in das Fleisch unter ihrem Kinn. Wäre sie warmblütig gewesen, hätte es ihr wehgetan. Ihre Zähne wurden spitz. John Sewards Blick war finster, seine Miene war ihr wohlvertraut. Dieses Aussehen hatte er oftmals schon angenommen, wenn sie beieinander waren. Es war Ausdruck seines viehischen inneren Triebes, der wilden Bestie, die in jedem Manne wütete. Da blitzte ein sanftmütiger Funke auf in seinen Augen, und er ließ von ihr ab. Er zitterte. Er wandte sich um und stützte sich auf seinen Schreibtisch. Sie strich ein paar lose Haarsträhnen zurück und ordnete ihren Kragen. Seine grobe Umklammerung hatte ihren roten Durst erregt.
    »Lucy, du darfst nicht …«
    Er winkte ab, doch sie ergriff ihn von hinten, weitete ihm den Kragen und löste seine Halsbinde.
    »… hierherkommen. Dies ist …«
    Sie befeuchtete seine alten Wunden mit der Zunge und öffnete sie dann mit einem sachten Biss.
    »… ein anderer Teil …«
    Sie saugte begierig. Ihre Kehle brannte. Sie schloss die Augen und sah nichts als rote Finsternis.
    »… meines Lebens.«
    Sie ließ einen Augenblick von seinem Hals ab, biss in ihren Handschuh und öffnete die winzigen Schildpattknöpfe an ihrer
Manschette mit den Zähnen. Sie befreite ihre rechte Hand und spie den hauchdünnen Stoff aus. Ihre Finger waren nun so lang, dass ihre Nägel die Nähte auftrennten. Knöpfe sprangen ab, als sie die Hand unter seine Kleider gleiten ließ. Eifrig darauf bedacht, ihn nicht zu schneiden, liebkoste sie sein warmes Fleisch. John stöhnte leise, traumverloren.
    »Lucy.«
    Der Name spornte sie an, erfüllte ihr Verlangen mit Zorn. Sie zerrte an seinen Kleidern und biss erneut zu, tiefer diesmal.
    »Lucy.«
    Nein, dachte sie und umklammerte ihn fester, Mary Jane.
    Ihr Kinn und ihr Hemd waren feucht von seinem Blut. Sie vernahm ein heiseres Würgen und spürte, wie er einen Schrei zu unterdrücken suchte. Immer und immer wieder wollte er Lucys Namen über die Lippen bringen, doch sie schnürte ihm die Kehle ab, brachte ihn mit Gewalt zum Schweigen. In diesem Augenblick, in dieser unbändigen Leidenschaft war er ihr John. Nachher würde sie sich den Mund abtupfen und wieder zu der Lucy seiner Träume werden. Er würde seine Kleider ordnen und sich in Dr. Seward zurückverwandeln. Jetzt jedoch waren sie beide ganz sie selbst; Mary Jane und John, vereint in Fleisch und Blut.

42
    Das gefährlichste Wild
    G eneviève Dieudonné«, stellte Beauregard sie vor, »Colonel Sebastian Moran, ehemals bei den Ersten Bangalore-Pionieren, Verfasser von Großwild im westlichen Himalaja und unverändert einer der größten Schurken weit und breit …«

    Der Neugeborene in der Kutsche war ein grimmig dreinblickender Rohling mit wild gesträubtem Schnurrbart, der sich in seinem Gesellschaftsanzug offenbar nicht allzu behaglich fühlte. Zu Lebzeiten

Weitere Kostenlose Bücher