Die Vampirjaegerin
tief Luft und lehnte sich gegen die Wand.
Er hatte nur wenig mehr genommen, als sie bei einer Blutspende im Krankenhaus gegeben hätte, aber es reichte, dass sie sich schwindelig fühlte.
Ein Räuspern von der Tür her brachte sie wieder zu sich. Als sie sah, wer dort stand, verscheuchte ein Anflug eiskalter Panik den Schwindel.
Lord Daryl. Er trug wie gewöhnlich seine Stiefel mit den Stahlkappen, bei deren Anblick allein Turquoise noch immer die Rippen wehtaten. Seine anthrazitgrauen Hosen waren von allerfeinster Qualität ebenso wie das blaue Seidenhemd. Wie das Federkleid eines Raben spiegelte sein Haar die Farben der Umgebung wider. Im Moment schimmerte es blauschwarz.
Seine Züge schienen wie aus Elfenbein geschnitzt, mit einem leichten Anflug von Röte – er hatte bereits gegessen, auch wenn es schon etwas länger her war.
Und er war schön. Warum waren Vampire immer schön?
Während ihrer Jahre als Jägerin hatte sie stets nach einer Antwort auf diese Frage gesucht. Sie kannte viele Vampire, die ihr Aussehen geändert hatten, weil ihre Schönheit Aufmerksamkeit erregte. Das Vampirblut bereinigte all die kleinen menschlichen Fehler, glättete die Haut, festigte die Muskeln und machte ihre Figur perfekt. Aber dieses Wissen half nichts, wenn man ihnen gegenüberstand. Schön wie der Teufel und doppelt so beängstigend.
Turquoises Herz schlug plötzlich so heftig, dass sie es in ihren Schläfen fühlen konnte. Sie wusste, dass sowohl Lord Daryl als auch Jaguar es hören konnten, aber sie konnte sich nicht genug konzentrieren, um es zu beruhigen. Die zwei Jahre hartes Bruja-Training schienen völlig umsonst gewesen zu sein.
»Was willst du, Daryl?«, fragte Jaguar ungnädig. Offenbar mochte er seinen Gast nicht. Er presste Turquoise an sich, entweder schützend oder besitzergreifend.
Turquoise zog es vor, Ersteres anzunehmen. Doch auch Jaguars Schutz konnte gefährlich sein, denn Lord Daryl war stets sehr eifersüchtig gewesen.
»Eine Neuerwerbung?«, schnappte Lord Daryl und warf einen Blick auf Turquoise, die er sofort erkannte, bevor er Jaguar wieder hasserfüllt ansah.
»Ein Geschenk von Jeshickah. Was willst du?«, wiederholte Jaguar, dessen Gefühle Daryl gegenüber nicht weniger deutlich waren als Daryls.
»Hat sich Jeshickah entschieden zu bleiben?«, entgegnete Lord Daryl, der es offensichtlich nicht eilig hatte, zur Sache zu kommen.
Jaguar schüttelte den Kopf. »Sie hat mich nicht über ihre Pläne unterrichtet.
Wenn du nichts Besseres zu tun hast, als zu plaudern, Daryl, dann schlage ich vor, du gehst. Ich habe zu tun.«
Daryl wollte widersprechen, doch noch bevor er ein Wort sagen konnte, fügte Jaguar in einem Ton, der Turquoise eine Gänsehaut verursachte, hinzu: »Du kannst gehen, Daryl!«
Wutentbrannt stolzierte Lord Daryl davon.
»Sie können ihn einfach so herumkommandieren?«, entfuhr es Turquoise, bevor sie es verhindern konnte.
»Im Prinzip stehen alle in diesem Haus unter meinem Befehl.«
»Warum nur im Prinzip?«
»Es gibt immer ein paar Ausnahmen«, antwortete Jaguar trocken.
Jeshickah, vermutete Turquoise. Und vielleicht Gabriel.
»Geh und beschäftige dich mit irgendetwas, Audra«, seufzte Jaguar. »Ich sollte mit Jeshickah sprechen, bevor Daryl heulend bei ihr auftaucht.«
Jaguar verließ vor ihr das Zimmer. Turquoise betrat vorsichtig den Gang. Lord Daryl hatte sie in Jaguars Anwesenheit kaum zur Kenntnis genommen, doch er hatte sie erkannt. Wenn er sie alleine antraf, konnte sie keine Milde erwarten.
Im Gang blieb sie stehen, lehnte sich an die Wand, als fühle sie sich ein wenig schwach, und sah Jaguar nach, bis sie sich wieder konzentrieren und ihre nächsten Schritte planen konnte.
Lord Daryl war eine Gefahr, mit der sie nicht gerechnet hatte, doch sie würde sich ihr stellen müssen. Sie hatte eigene Pläne, die sie mit ihm oder ohne ihn durchführen musste.
Aber zuerst wollte sie den Innenhof sehen. Sie könnte es an der Tür im Südflügel versuchen, doch sie vermutete, dass sie zu dieser Zeit kein Glück haben würde, da sich dort zu viele Leute aufhielten. Sie könnte nie unbemerkt das Schloss aufbrechen und hinausschlüpfen.
Als sie auf dem Rückweg den Gang zum Südflügel betrat, unterdrückte sie einen Fluch. Ravyn! Was auch immer sie hier tat, sie verhielt sich nicht unauffällig genug. Sie beide durften unter keinen Umständen Aufmerksamkeit erregen, bis sie wussten, woran sie waren.
Noch schien Ravyn keine Schwierigkeiten zu haben, aber es
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