Die verborgene Seite des Mondes
früher Morgen, als Simon von Motorengeräuschen geweckt wurde. Fluchend sprang er in seine Schuhe. Bereits im Wohnzim mer stand er Ada gegenüber. Während er sich erleichtert den Schlaf aus dem Gesicht rieb, erzählte sie ihm, dass die Polizei einige der in haftierten Protestler noch am Abend freigelassen hatte, nachdem deren Personalien aufgenommen worden waren. Sie und Boyd hat ten sich nach ein paar Stunden Schlaf sofort auf den Rückweg ge macht.
Julia kam angeschlichen. Tommy war aufgewacht, er hatte die Stimme seiner Granny gehört. Ada trug ihn aus der Schlafkammer in die Küche. Sie merkte natürlich sofort, in welch schlechter Verfas sung der Junge war, ganz abgesehen von den Blessuren in seinem Gesicht und dem fehlenden Zahn. Sie nahm ihn auf den Schoß, küss te ihn auf die Stirn und Tommy klopfte ihr mit seinen Händen auf den Rücken.
»Was ist passiert?«, fragte Ada scharf. »Wo ist Frank?«
Simon wollte sprechen. Aber unter Adas hartem Blick sank ihm die Stimme in die Kehle und er bekam nicht einmal ein Stottern heraus.
Julia erzählte Ada erstaunlich ruhig, was vorgefallen war. Das Ge sicht ihrer Großmutter zuckte wütend, als sie erfuhr, dass Jason Tommy geschlagen hatte.
»Jason war im Camp«, sagte Ada. »Aber Samstagabend, da war er auf einmal verschwunden.«
»Du hast ihn nicht hergeschickt, um nach dem Rechten zu sehen?«
Statt einer Antwort gab Ada einen Laut der Verärgerung von sich.
»Und was wirst du jetzt tun?« Julia blickte ihre Großmutter fra gend an.
»Was soll ich denn tun? Wir sind wieder hier und Jason wird es nicht wagen, sich in nächster Zeit auf der Ranch blicken zu lassen. Nicht nach dem, was er Tommy angetan hat.«
»Das glaubst du doch selbst nicht, Grandma. Jason hat gedroht, Si mon umzubringen.«
Simon senkte den Kopf. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Wa rum musste sie das sagen?
»Ist das wahr, Simon?« Adas Adleraugen musterten ihn.
»N-N-N . . . fuck.« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
Ada ignorierte das Schimpfwort, sie benutzte es gelegentlich sel ber. »Bekomme ich eine Antwort?«
»Ja, v-erdammt. Er hat so was g-g-gesagt.«
»Und Frank ist nicht gekommen?«
»Nein«, sagte Julia. »Er hat angerufen. Seine Mutter ist schwer krank geworden. Sie liegt in Reno im Krankenhaus und er ist zu ihr gefahren.«
Ada sprang auf, und Verwünschungen vor sich hin murmelnd, ver ließ sie die Küche.
Boyd, der inzwischen schon wieder seine Arbeitskleidung trug, setzte sich zu ihnen an den Tisch. Auch er wollte wissen, was vorge fallen war, und Julia schrieb ihm alles auf. Der alte Mann las und schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf. Seine großen Hände ballten sich zu Fäusten.
»Ich kann nicht glauben, dass Jason Tommy geschlagen hat«, sagte er wütend. Er stand auf und schlurfte mit kleinen Schritten in der Küche umher, wie ein Tier im Käfig.
»Ich habe es so satt«, schimpfte Boyd, »ich kann einfach nicht mehr.« Er blieb hinter Simon stehen. »Nichts für ungut, Cowboy, aber ich habe mein Leben lang hier draußen geschuftet, von mor gens bis abends. Jetzt bin ich alt und will nicht mehr.«
Simon biss sich auf die Unterlippe. So hatte Boyd noch nie zuvor gesprochen. Er hatte immer geglaubt, die Ranch und seine Tiere wären alles, was den alten Mann glücklich machte.
»Ich habe ein Stück Land in der Nähe von Elko«, fuhr Boyd fort. »Mit dem Erlös für die Ranch könnten wir uns ein Haus hinsetzen lassen, eines, das Wasser und Strom hat und einen passablen Fern sehempfang. Dort könnten wir ein paar Pferde halten.« Er sah seine Enkeltochter an. »Ich bin müde, Julia. Ada und ich hatten gehofft, dein Vater würde eines Tages zurückkommen und uns helfen. Jetzt ist er tot und mit ihm haben wir die Hoffnung begraben, dass die Ranch noch eine Zukunft hat.«
Und warum verkauft ihr dann nicht?, schrieb Julia auf einen Zettel.
»Weil es deine Großmutter umbringen würde. Sie hat ein halbes Leben lang gegen die Goldmine und das BLM gekämpft. Sie kann nicht verkaufen, Julia. Ada ist in diesem Haus geboren und hier will sie auch sterben. Mit Stiefeln an den Füßen und Heu in den Haaren. Was andere wollen, interessiert sie nicht.«
Boyd legte Simon beide Hände auf die Schultern. »Danke, Cowboy, dass du dich um alles gekümmert hast. Nimm dir einen Tag frei, okay? Ich werde heute die Kühe füttern.«
Simon wollte protestieren, doch ein Fußtritt von Julia hinderte ihn daran.
Hand in Hand liefen sie hinauf zur
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