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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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nur zwei oder drei Mal, bevor es wieder mit offenem Mund einschlief. Wenn ich es allerdings ablegte, wachte es erneut auf, machte ein gurgelndes, saugendes Geräusch und schürzte die Lippen.
    Heftiger als beabsichtigt, hielt ich es wieder an die Brust. »Wenn du Hunger hast, dann trink«, sagte ich zunehmend verzweifelt. »Schlaf nicht ein.« Das Baby verzog das Gesicht und nahm meine Brustwarze.
    Ich seufzte noch einmal und bereute meine Grobheit.
    »Sehr gut, großes Mädchen«, versuchte ich es mit Mutter Rubinas Worten. Aus meinem Mund klangen sie aufgesetzt und gekünstelt. Ich streichelte das Haar des Babys, ein schwarzes flaumiges Büschel über dem Ohr.
    Als das Baby wieder eingeschlafen war, stand ich langsam auf und trug es zum Weidenkorb. Vielleicht würde es sich in dem engen gepolsterten Behältnis ja geborgen fühlen, dachte ich, während ich es Zentimeter um Zentimeter hineinsenkte. Aber ich hatte noch nicht einmal die Arme weggezogen, als es erneut zu weinen begann.
    Ich stand da und lauschte den Schreien meiner Tochter. Ich musste etwas essen. Mein Bezug zur Wirklichkeit schwand mit jeder weiteren Stunde, die ich mit leerem Magen verbrachte. Doch ich ertrug das Geräusch ihrer Schreie nicht. Gute Mütter ließen ihre Babys nicht schreien. Für eine gute Mutter kamen die Bedürfnisse ihres Babys an erster Stelle, und ich wollte unter allen Umständen eine gute Mutter sein. Falls es mir endlich gelingen sollte, mich ganz und gar für einen anderen Menschen aufzuopfern, würde ich damit sämtlichen von mir angerichteten Schaden wiedergutmachen.
    Ich hob das Baby hoch und ging mit ihm im Zimmer auf und ab. Meine Brustwarzen brauchten eine Pause. Ich summte, wiegte meine Tochter und lief weiter, wie ich es bei Marlena beobachtet hatte, aber sie wollte sich einfach nicht beruhigen, warf das Köpfchen hin und her und fing an, kühlen Sauerstoff aufzusaugen und meine Brust zu suchen. Ich setzte mich aufs Sofa und drückte ihr ein weiches, rundes Kissen an die Wange. Sie ließ sich nicht täuschen, schrie immer lauter, saugte Luft, hustete und streckte die Ärmchen über den Kopf. Sie konnte unmöglich noch Hunger haben, sagte ich mir immer wieder. Sie brauchte nichts zu essen.
    Das Gesicht des Babys wurde so rot wie das Blut, das weiter aus meiner Brustwarze tropfte. Ich ging zum Körbchen und legte meine Tochter hinein.
    In der Küche schlug ich mit den Fäusten auf die gekachelte Anrichte. Ich war es, die Hunger hatte, nicht das Baby. Ich musste für mich selbst sorgen. Meiner Tochter würde nichts anderes übrigbleiben, als eine Stunde zu warten, während ich meinen Magen füllte und meine Brustwarzen schonte. Am anderen Ende des Zimmers sah ich ihr Gesicht, das inzwischen vor Verzweiflung beinahe violett angelaufen war. Sie wollte mich und verstand nicht, dass mein Körper nicht ihr gehörte.
    Ich ließ das Zimmer und das Geräusch hinter mir und stellte mich an das Fenster in Natalyas Zimmer. Ich konnte das Baby nicht mehr anlegen. Nicht, nachdem ich es sechsunddreißig Stunden lang ununterbrochen gestillt hatte. Es hatte alle Milch in meinem Körper aufgebraucht, dessen war ich sicher, und machte sich nun über etwas anderes tief in meinem Innersten, über mein Herz oder mein Nervensystem, her. Das Baby würde erst zufrieden sein, wenn es mich ganz und gar verschlungen und sämtliche Flüssigkeit und alle Gedanken und Gefühle aus meinem Körper gesaugt hatte. Selbst wenn ich nur noch eine stammelnde leere Hülle war, würde es Hunger haben.
    Nein, sagte ich mir. Es konnte nichts mehr bekommen. Mutter Rubina würde mich erst am nächsten Tag besuchen, und von Renata fehlte jede Spur. Ich würde im Laden Babynahrung kaufen und meine Tochter mit dem Fläschchen füttern, bis meine Brustwarzen abgeheilt waren. Während ich einkaufen ging, würde ich sie in ihrem Körbchen lassen und den ganzen Weg zum Supermarkt und nach Hause im Laufschritt zurücklegen. Das Baby mit in den Laden zu nehmen war zu gefährlich. Jemand würde sein hungriges, todtrauriges Weinen hören, mich als unfähige Mutter einstufen und es mir wegnehmen.
    Ich griff nach meiner Geldbörse und hastete die Treppe hinunter, bevor ich es mir anders überlegen konnte. Ohne auf Autos oder andere Fußgänger zu achten, rannte ich den Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter und eilte an Passanten vorbei. Mein Körper, der sich noch nicht von der Geburt erholt hatte, fühlte sich an, als würde er entzweigerissen. Ein Feuer

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