Die Verborgenen
drückte sie das Kind gegen ihre Brust »Jesús nos ayuda!«
Der Mann versuchte, Widerstand zu leisten, doch die Kette zog ihn so mühelos in Richtung Wand wie die Frau.
Der kleine Junge schrie. Die Ketten zerrten ihn von seiner Mutter weg. Beide versuchten, sich gegenseitig festzuhalten, doch gegen die ununterbrochene mechanische Kraft waren sie machtlos.
Aggie spürte, wie sein Rücken gegen die Wand krachte und er mit der Halsfessel, die von unten gegen seinen Kiefer drückte und ihm fast die Luft abschnürte, an der Wand hochgezogen wurde. Er schaffte es gerade noch, von selbst aufzustehen, als die Kette die Halsfessel bis zur Vertiefung in der Wand zog, von wo sie sich schließlich mit dem unmissverständlichen Knallen von Metall auf Metall nicht mehr von der Stelle rührte. Das Zerren hörte auf. Fast panisch holte Aggie tief Luft. Dann packte er die Halsfessel und versuchte, sich nach vorn zu beugen, doch die Kette bewegte sich nicht.
Alle vier Gefangenen befanden sich in derselben prekären Lage. Ihre Halsfesseln lagen dicht an den in der Wand angebrachten, ringförmigen Stahlvertiefungen an. Hände wurden nach oben gerissen, Füße drückten sich gegen die weißen Wände, doch niemandem gelang es, sich zu befreien.
Sie alle standen da und warteten.
»Mama!«, kreischte der Junge, als er seine Stimme wiederfand. »Qué está pasando?«
»No sé«, antwortete sie. »Sea valiente. Le protegeré!«
Irgendwie begriff Aggie, was die letzten Worte bedeuteten. Sei tapfer. Ich werde dich beschützen.
Doch die Mutter konnte nichts tun. Sie war so machtlos wie der Junge.
Das Geräusch eines großen Schlüssels, der knirschend ein Metallschloss öffnete, ließ alle verstummen.
Die weiße Zellentür schwang auf.
Geschah das wirklich? Alles schien zu verschwimmen. Die Wände strahlten so weiß, wie das in der realen Welt unmöglich der Fall sein konnte. Ein schlechter Trip, ein schlechter Trip, mehr nicht. Ich habe einen schlechten Trip.
Als er sah, was durch die offene Zellentür kam, reagierte Aggie nur noch instinktiv. Es spielte keine Rolle, ob er breit war und träumte oder stocknüchtern. Er zog heftiger an seiner Fessel, als er es jemals für möglich gehalten hätte – so heftig, dass er sich fast selbst stranguliert hätte. Doch die Halsfessel rührte sich nicht.
Menschen in weißen Kapuzen und weißen Roben mit einem Seil als Gürtel. Nur waren es keine Menschen. Sie hatten die Gesichter von Monstern. Ein Schwein, ein Wolf, ein Tiger, ein Bär, ein Kobold. Verzerrtes, böses Lächeln. Vortretende blinzelnde Augen. Ein primitiver Teil in Aggies Seele schrie nach Erlösung. Schweinsgesicht trug eine über drei Meter lange Holzstange, deren Spitze aus einem Stahlhaken bestand.
Die fünf in Roben gekleideten Wesen gingen langsam auf den Jungen zu.
Der Junge ist ihr Kind, wie meine Tochter mein Kind war, mit einer Haut so weich wie geschmolzene Schokolade. Meine Tochter, bitte bringt meine Tochter nicht um …
Der Mexikaner schrie vor Wut. Aggie blinzelte, um die Erinnerung abzuschütteln. Es hatte ihn so große Mühe gekostet, diese Gedanken hinter sich zu lassen.
Auch die Frau schrie, doch was ihre Stimme verriet, war nicht Wut, sondern herzzerreißende Angst. Ihr Sohn tat es ihr nach, und die kindlich hohen Töne waren umso ergreifender in ihrem Entsetzen.
Der Junge sah sie auf sich zukommen. Er zuckte wie ein Epileptiker. Speichel und Blut rannen aus seinem Mund, und seine Augen waren so groß, dass Aggie sogar aus viereinhalb Metern Entfernung die vollkommen runde braune Iris erkennen konnte. Der Junge umklammerte seine Halsfessel so heftig, dass sich seine Fingernägel in seine weiche braune Haut gruben.
Noch immer stieß der Mann Drohungen aus, die Aggie nicht verstand. Seine Wutschreie hallten von den weißen Wänden wider.
Die Gestalten in den weißen Roben ignorierten ihn.
Sie blieben etwa einen Meter von dem Jungen entfernt stehen. Eines der Wesen zog eine Art Fernbedienung hervor und drückte auf einen Knopf. Die Kette des Jungen lockerte sich. Er stürmte nach vorn, doch nach nicht einmal anderthalb Metern straffte sich die Kette wieder, und seine Beine rutschten unter ihm weg. Der Junge fiel hart auf den Rücken. Schreiend, weinend und blutend rollte er sich auf Hände und Knie und versuchte aufzustehen, doch schon waren die fünf weißen Gestalten bei ihm. Hände, die in schwarzen Handschuhen steckten, schoben sich unter den weißen Ärmeln hervor, packten ihn und hielten ihn
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