Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
Aufgaben in der Schule und im Kindergarten sie wieder vollkommen in Beschlag. Hinzu kamen die vielfältigen Probleme, die zwischen den Stämmen schwelten und jederzeit ausbrechen konnten wie die Vulkane, unter denen sie alle ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Fast täglich erinnerten minimale Erdbewegungen und die beständige Rauchfahne an die Gefahr, in der sie lebten. Doch gleichzeitig dachte Johanna jeden Tag, dass es keinen besseren, keinen schöneren Platz auf Erden gab als diese abgeschiedene Bucht.
Miti reiste oft ins Hochland, um die isoliert lebenden Stämme zu besuchen, und sie selbst begleitete die Freundin mittlerweile, sooft sie Zeit dafür fand. Sie erkundigte sich vor Ort nach dem Gesundheitszustand der Kinder, brachte ein paar Medikamente gegen Durchfall und Malaria mit, manchmal auch ein paar Büchsen Fleisch vom Kolonialwarenladen in Rabaul. In den wenigen Stunden der Muße, die ihr blieben, versuchte sie sich an Bilderbüchern, die ihr die Kinder der Hochlandstämme jedes Mal begeistert aus der Hand rissen. Es waren kleine Geschichten rund um den Alltag der einheimischen Kinder, die sie sich ausgedacht und mit Buntstiften in schlichte Schulhefte gemalt hatte. Miti und sie hörten auch den Alten zu, ließen sich von ihren Sorgen berichten, die meist um benachbarte Stämme und gestohlene Schweine kreisten. Johanna sah mit Bewunderung, wie Miti von den Einheimischen respektiert wurde. Die Freundin beherrschte einige der Sprachen der Bergstämme, und die Einheimischen kannten sie noch aus jener Zeit, da sie gemeinsam mit ihrem Mann die Bräuche der Papua erforscht und für ihn Gespräche geführt und protokolliert hatte. Da Miti mit den Jahren immer vergesslicher wurde, musste Johanna ihr mehr und mehr zur Hand gehen. Sie notierte die verschiedenen Wünsche und Beschwerden der Stammesältesten und sorgte dafür, dass alles rechtzeitig erledigt wurde.
Johanna lächelte. Es war eine anstrengende, aber auch sehr befriedigende Zeit gewesen. Sie drehte sich um, blickte auf die immergrünen Berge, die von hier unten nicht preisgaben, wie beschwerlich der Weg hinauf zum Kamm war. Dunstschwaden stiegen langsam aus den weiter oben gelegenen Baumkronen auf und verwischten die Konturen des Waldes mit dem milchigen Blau des Himmels. Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie in der Ferne die Rufe der Dschungelvögel hören, manchmal auch die Kundutrommeln der Einheimischen. Nach einer Weile wandte sie den Blick wieder aufs Meer.
Als die Japaner in New Ireland einfielen, stellten die Australier ein Schiff bereit, das ihre und die britischen Bürger in Sicherheit bringen sollte. Doch sie und Miti hatten davon erst erfahren, nachdem das Schiff bereits abgelegt hatte. Und man hatte sie keineswegs vergessen. Man wollte sie gar nicht retten. Miti war mit einem Deutschen verheiratet gewesen, und sie, Johanna, war von Geburt an Deutsche und befand sich somit ganz eindeutig auf der falschen Seite. Dass Richard Parkinson schon lange tot und sie, Johanna, mit einem Australier verheiratet gewesen war, spielte offensichtlich keine Rolle. Die Behörden gaben sich dennoch betreten, als Johanna nachgefragt hatte. Gab es etwa ein zweites Schiff, auf dessen Passagierliste sie standen?
Der Sergeant blieb eine Weile stumm, scharrte nur mit dem Fuß auf den Holzdielen, die eigenen Bewegungen mit den Augen verfolgend.
»Sorry, Ma’am«, sagte er schließlich. »Es war nicht meine persönliche Entscheidung.« Er wünschte ihnen viel Glück und komplimentierte sie nach draußen.
Johanna hatte ihn angestarrt, doch als sie voller Zorn losdonnern wollte, griff Miti sie am Arm und zog sie zu sich.
»Es ist vorbei, Johanna. Wir sind auf uns gestellt. Komm, lass uns nach Hause gehen und Vorbereitungen treffen!«
Später dachte Johanna oft daran, dass sich die australische Armee wenigstens um ihre eigenen Leute hätte kümmern sollen, wenn sie schon zwei hilflose Frauen im Stich ließ. Die jungen Kerle dort oben auf dem Track waren der Übermacht der japanischen Truppen völlig ausgeliefert. Johanna dachte an ihren Sohn Martin und weinte. Obwohl sie in diesen Tagen sparsam mit Bitten an Gott umging, schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel und bekreuzigte sich.
Es war Nachmittag geworden, und die Sonne beeilte sich, im Meer zu versinken. Die langen Schatten der Feigenwurzeln fielen Johanna schräg übers Gesicht. Sie stand auf und schaute noch einmal auf Kokopo. Dann machte sie sich auf den schmalen Pfad, der nach Kuradui führte.
Sie und
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