Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
Miti lebten, seit sie wussten, dass sie die Insel in naher Zukunft nicht würden verlassen können, so unauffällig wie möglich. Sie ernährten sich von dem, was der Garten ihnen schenkte, und die Einheimischen brachten ihnen hin und wieder Fisch und Muscheln. Das Haus selbst war mittlerweile vom Dschungel fast vollständig überwuchert, so dass Johanna erst die Blätter eines riesigen Silberfarns zur Seite biegen musste, ehe sie die Stufen der Veranda betreten konnte. Miti kam ihr entgegen. Sie sah müde aus. Johanna warf ihr einen fragenden Blick zu, doch Miti bewegte den Kopf in einer stummen Verneinung. Johanna nickte ergeben. Sie hatte sowieso nicht daran geglaubt, dass es gut ausgehen würde.
»Er ist noch in der Nacht gestorben«, sagte Miti und steckte eine lose Strähne in ihren grauen Haarknoten zurück. Sie setzten sich auf die Bank neben dem Eingang. Was sollten sie jetzt tun? Johanna legte ihre Hand auf die der Freundin und drückte sie. Sie spürte die knotigen Gelenke, fühlte die Adern der älteren Frau. Das hatte Miti nicht verdient! In diesem Abschnitt ihres Lebens sollte sie sich von ihrem arbeitsamen Leben in einem Schaukelstuhl ausruhen und ihren Enkeln und Urenkeln beim Spielen zusehen. Stattdessen saß sie auf dieser harten Bank mit Johanna, der einzigen Freundin, die ihr geblieben war. Ihre Kinder und Enkelkinder hatten die Insel längst verlassen, und im Wohnzimmer lagen vier Leichen.
Es kam Johanna fast wie ein Wunder vor, dass ihr Geheimnis nicht längst aufgeflogen war. Vor einer Woche war ein brennendes amerikanisches Kampfflugzeug ins Meer gestürzt und im Pazifik versunken. Die Japaner hatten den Absturz beobachtet und angenommen, es gäbe keine Überlebenden. Doch in der folgenden Nacht klopfte es an der Tür von Kuradui. Einheimische trugen vier junge Männer, die sie auf Bahren gebracht hatten, ins Wohnzimmer, legten sie ab und verschwanden schweigend wieder. Miti und Johanna hatte der Anblick der Verletzten die Sprache verschlagen, und so ließen sie die Einheimischen ziehen, ohne Fragen zu stellen. Einer der Amerikaner war bereits tot, die anderen drei hatten neben mehrfachen Knochenbrüchen schwere Verbrennungen erlitten. Ob auch innere Organe verletzt waren, ließ sich schwer sagen, aber die Frauen nahmen dies bei mindestens zweien der Männer an. Einer der Überlebenden stöhnte ständig, manchmal lallte er auch etwas Unverständliches, so als wäre er betrunken. Der Dritte rührte sich gar nicht. Miti und Johanna hatten genug Erfahrung, um zu erkennen, dass sie für die Männer nicht mehr viel tun konnten. Sie kümmerten sich dennoch, so gut es ging, um sie: Sie wuschen ihnen die Gesichter, gaben ihnen in kleinen Schlucken Wasser zu trinken und fächelten ihnen Luft zu. Doch noch in derselben Nacht waren zwei der Airmen ihrem Kameraden in den Tod gefolgt.
Johanna ließ den Kopf hängen und fuhr sich mit der Hand über die feuchte Stirn. Nun hatte Miti also auch über den Letzten ein Laken breiten müssen. Er hieß Robert Banks und war der Navigator. Banks war bis zuletzt noch ansprechbar gewesen, und Johanna hatte mit ihm mehrmals eine kurze Unterhaltung geführt. Wo er herkam, den Namen von Frau und Kindern. Sie hatte sich noch in der Dämmerung auf den Weg gemacht, um Hilfe zu holen. Sie beide konnten unmöglich allein die Gräber ausheben, noch dazu in aller Heimlichkeit.
Johanna stand jetzt auf und ging ins Wohnzimmer, um zu sehen, in welchem Zustand der Raum war. Die Tolai waren ihrem Hilferuf sofort gefolgt. Nichts wies mehr auf den Schrecken der vergangenen Nacht hin, sie hatten die Amerikaner begraben. Johanna atmete auf. So weit, so gut. Sie machte einen Rundgang ums Haus, um sicherzugehen, dass die Tolai auch ja nichts übersehen hatten, was die Frauen kompromittieren könnte.
Urplötzlich stand einer von ihnen vor ihr. Er streckte den Arm aus und hielt ihr einen zerknitterten Zettel vor die Nase.
»Von Martin, deinem Sohn«, sagte er auf Pidgin. Johanna kannte den Mann vom Sehen, doch der Name wollte ihr nicht einfallen. Ungeduldig riss sie ihm den Zettel aus der Hand. Während sie las, begann sie zu weinen und schluchzte halblaut vor sich hin. Miti eilte zu ihr und legte ihr die Hand auf den Oberarm.
»Von Martin. Eine Nachricht von Martin«, sagte Johanna und lächelte unter Tränen. »Er lebt. Er ist auf dem Kokodatrail.« Miti nahm sie in den Arm.
»Das sind ja wunderbare Nachrichten!« Paikou lächelte, als er von den Frauen aufgefordert wurde, im
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