Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
konnte man eigentlich nicht sprechen. Wo waren nur die Menschen? Und das sollte Rabaul sein? Selbst das Meer, dessen Küste linker Hand von ihnen lag, wirkte schwer wie aus Blei. Vielleicht hatte nur ein Unwetter es so schmutzig aufgewühlt, oder sah es etwa immer so aus? Die tief hängenden Wolken und der fehlende Sonnenschein taten ein Übriges, um das Trostlose der Landschaft zu betonen. Wie auf dem Mond, dachte Katja.
Der Priester schien ihre Gedanken zu erahnen.
»Nicht unbedingt die schönste Aussicht, was?«, fragte er und ließ Wasser über die schmutzige Windschutzscheibe spritzen, das von hektisch hin- und herhuschenden Wischblättern übers Glas geschmiert wurde. Katja wollte nicht unhöflich sein und zuckte nur kaum merklich mit den Schultern. »Sie haben doch bestimmt von unserem letzten großen Vulkanausbruch gehört?« Als sie nicht gleich antwortete, sah der Pfarrer sie von der Seite an. »1994?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, und Katja bejahte zögerlich. Sie hatte im Reiseführer zwar davon gelesen, aber es nach all den Jahren seit der Katastrophe nicht für möglich gehalten, dass die Folgen noch so präsent wären.
»Wieso hat man Rabaul nicht wieder aufgebaut, oder anders gefragt: Warum sieht es hier noch immer so aus?«
Pfarrer Reuter seufzte und fuhr sich mit einer Hand durch sein dichtes Haar.
»Es hätte schlicht zu viel gekostet. Die Asche liegt zum Teil meterhoch auf den Gebäuden. All den Schutt abzutragen und zu entsorgen – der Staat wollte das nicht bezahlen.«
Er nahm die Hand aus dem Haar und deutete nach rechts. »Schauen Sie mal dort drüben. Der erste Eindruck täuscht nämlich. Ganz so tot, wie es zunächst den Anschein hat, ist Rabaul nicht. Zwei, drei Blöcke landeinwärts hat sich wieder so einiges an Leben im Ort gesammelt. Es gibt ein Hotel und zwei Bed and Breakfasts und weiter östlich sogar einen Supermarkt.«
Katjas Blick folgte seinem Fingerzeig. Der Pfarrer musste ihren kritischen Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn er lachte laut auf.
»Sie fragen sich sicherlich, wer in Gottes Namen hier Urlaub machen will, hab ich recht?« Katja fühlte sich peinlich berührt, der Pfarrer hatte mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen. »Regierungsleute, Handelsmenschen in der Hauptsache, aber auch ein paar historisch interessierte Touristen.« Er beugte sich verschwörerisch zu ihr hinüber. »Man sagt, Rabaul versprühe noch immer diese geheimnisvolle Aura von kolonialem Reichtum.«
»Dann werde ich mich mal näher umschauen. Doch, wenn ich ehrlich bin, macht dieser Ort einen melancholischen Eindruck auf mich.« Reuter nickte zustimmend.
»Was ist denn aus den Leuten geworden, die hier einmal gelebt haben? Wenn ich meinem Reiseführer glauben darf, ist niemand beim Vulkanausbruch ums Leben gekommen. Waren die Häuser denn nicht versichert?«
Der Pfarrer sah sie belustigt von der Seite an. »Versichert? Rabaul liegt mitten in einem gigantischen Krater, umgeben von einem Ring aktiver Vulkane, die ungefähr alle fünfzig Jahre eine Verheerung dieses Ausmaßes anrichten. Welche Versicherung würde da schon mitspielen?« Katja kam sich mit einem Mal naiv vor und sah verlegen zum Seitenfenster hinaus. Die Sache ließ ihr allerdings keine Ruhe, und nach einer Weile wandte sie sich wieder dem Pfarrer zu.
»Warum haben die Leute sich überhaupt erst hier niedergelassen? Ich meine, wenn sie doch wussten, dass früher oder später die Vulkanasche ihr Heim unter sich begraben würde? Wieso lebten sie nicht einfach woanders? Irgendwo, wo es sicherer ist?«
Die Worte waren nur so aus ihr herausgesprudelt, und sie hoffte, dass sie nicht allzu naiv oder gar besserwisserisch klang. Andererseits drängten sich ihr die Fragen geradezu auf. Der Pastor schaltete vor einer Kurve in den dritten Gang zurück, während er bedächtig den Kopf schüttelte, als wöge er seine Antwort genau ab.
»Gute Frage. Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären.« Sein linker Zeigefinger wies aufs Meer hinaus. »Dieses natürliche Hafenbecken hier, der Simpson Harbour, ist eines der tiefsten der Welt. Selbst große Schiffe können problemlos in Küstennähe ankern. Das macht die Blanchebucht zum idealen Handelsschwerpunkt. Nicht umsonst haben sich schon zur Kolonialzeit die großen deutschen Handelsgesellschaften wie Godeffroy oder die Deutsch-Neuguinea-Kompagnie hier angesiedelt.«
Er warf einen Blick auf Katja, wohl um sich zu vergewissern, ob sie an seinen Ausführungen überhaupt
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