Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
und klirrende Kälte, sogar Frost in der Nacht waren in dieser Jahreszeit in der Mongolei nicht selten. Es war ihre erste Nacht im Freien, am Rande der Steppe. Eng umschlungen schliefen sie ein.
AM NÄCHSTEN MORGEN weckte sie das Zwitschern von Regenpfeifern. Jens öffnete das Zelt und erspähte nicht weit entfernt eine Herde Pferde beim Grasen. Er erkannte durch sein Fernglas, dass ihre Mähnen nicht von Hirten oder Züchtern getrimmt worden waren. Die Rücken der stämmigen Tiere waren hellbraun, die Flanken sandfarben, ihre Bäuche leuchteten weiß. Jens näherte sich ihnen vorsichtig und fotografierte, wie einige der Pferde Wasser aus dem Bach tranken. Ein besonders kräftiges Tier, der Leithengst bemerkte ihn und galoppierte mit seinen Stuten in der Ebene davon.
Jens lief ein Stück den Bach entlang, blieb stehen und zog sich aus. Weit und breit war niemand zu sehen. Er warf das eiskalte Wasser hoch in die Luft, um sich nasszumachen. Marie war ihm gefolgt. Sie nahm die herumliegende Kamera und drückte auf den Auslöser.
Auf einem kleinen Kocher erhitzten sie Wasser aus dem Bach, jeder trank einen Becher Tee, um die Kälte der Nacht zu vertreiben. Dazu gab es ein paar Kekse, die sie in einem russischen Magasin gekauft hatten. Nachdem sie ihr Lager abgebrochen hatten, liefen sie zur Straße zurück. Nach einer Weile hielt ein Lkw und nahm sie mit.
Jens sprach mit dem Fahrer auf Russisch, Marie sah aus dem Fenster ein von Blumen und Kräutern durchsetztes Grasland, kaum Sträucher, nur wenige Bäume. In größerer Entfernung, vor den Ausläufern der Berge, sah sie mehrere weiße Flecken, aus denen Rauch aufstieg: die Jurten der Nomaden.
Die Straße war längst zu einer wilden Piste geworden, die Fahrt ging über steinigen Grund. Ab und zu tauchte in der Ferne eine Schafherde auf. Es gab immer wieder Einschnitte in der felsigen Landschaft, in denen Bäume wuchsen. Durch ihr Fernglas erkannte Marie Ziegen oder Yaks, die mit ihren langen, spitzen Hörnern und dem zotteligen braunen Fell für sie wie eine Urform der Rinder aussahen.
Marie schaute auf ein Land ohne Zäune, ohne Hochspannungsleitungen, ohne rechtwinklige Felder. Das Land lag offen bis zum Horizont ausgebreitet unter einem blauen Himmel. In dieser freien Landschaft suchten sich auch die Flüsse und Bäche ungezähmt ihren Lauf. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte der Wagen immer wieder anhalten müssen, und sie wäre ausgestiegen, einfach nur, um zu schauen und herumzulaufen. Wie eine Reisende im Weltraum, deren Schiff auf einem fremden Planeten gelandet war.
Jens hatte während der Fahrt eine seiner Landkarten auf den Knien liegen, auf die er immer wieder blickte, um den Weg auf der Karte zu verfolgen. Er wollte bis in die Nähe von Murun kommen, sein Ziel war eine Geologenbasis, von der ihm Mischa erzählt hatte. Von dieser Basis aus könnten sie möglicherweise mit einem weiteren Flugzeug bis zu einem Naturschutzgebiet am Ufer des Chöwsgöl Nuur fliegen, einem der größten Süßwasserseen der Welt. Dort wollten sie eine Zeit lang bleiben, und Jens hoffte, Vögel beobachten zu können.
DA DER LKW-FAHRER nach Murun hineinfuhr und sie an diesem Tag nicht schon wieder in eine Kontrolle geraten wollten, gab Jens dem Drängen von Marie nach und sie stiegen nachmittags schon vor der Stadt an einem Platz mit alten Weiden aus, der an einem kleinen Flüsschen gelegen war. Der Ort war wie geschaffen für ein Lager.
Marie bastelte sich aus einem langen Ast eine Angel, Jens baute einen Ofen aus Steinen und Erde, um Brot zu backen. Aus abgestorbenen Ästen entfachte er ein Feuer. Während es loderte und die Steine erhitzte, bereitete Jens einen Teig aus den Vorräten in seinem Rucksack.
Nach einer Weile gab Marie das Angeln auf.
Ich habe keinen einzigen Fisch gefangen.
Er schaute sie belustigt an.
Dafür ist das Brot fertig!
Jens nahm das flache Brot von den Steinen, es war noch heiß, aber er brach davon ein großes Stück für Marie ab. Sie hielt es vor ihr Gesicht.
Es riecht wunderbar! Und morgen gibt es auch Fisch dazu.
Sie bekamen Besuch.
Neugierig näherten sich zwei kleine Jungen auf ihren Pferden.
Seit Ulan Bator hatte Jens mit den Menschen nur Russisch gesprochen, nun wollte er endlich aus seinem Wortschatz von etwa hundertfünfzig mongolischen Vokabeln schöpfen, aber gerade jetzt fielen ihm nicht die richtigen ein. Die beiden Jungen probierten das Brot. Talh, sagte der ältere, als Jens es ihnen entgegenstreckte. Sie nahmen es,
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