Die Verfluchte
Bertrand verlassen hatte, kehrte sie ins Ferienhaus zurück und nahm mit Enora ein Abendessen aus Baguette und Käse zu sich. Dazu tranken sie einen trockenen Landrotwein. Mit den Gläsern in der Hand saßen die beiden Freundinnen danach eine Weile auf der Terrasse, die von den Sonnenstrahlen des vergangenen Tages noch angenehm warm war. Sie unterhielten sich über alles Mögliche, aber das Thema Serge und auch Roses sonderbare Träume vermieden sie. Als Rose von Mme Bertrand und der Hütte erzählte, nickte Enora. „Ja, die habe ich auch schon getroffen.“
„Sie ist sonderbar, oder?“
Enora gähnte. „Kann schon sein.“
Als es Zeit war, schlafen zu gehen, fühlte sich Rose eigenartig unruhig. Sie wälzte sich im Bett hin und her, aber sie konnte einfach nicht einschlafen. Kurz nach Mitternacht schließlich stand sie auf und trat an die offen stehende Terrassentür.
Wenn er jetzt nur kommen würde! , schoss es ihr durch den Kopf, und wieder ärgerte sie sich über ihr pubertäres Verhalten. Dieser keltische Kerl war nichts weiter als eine Ausgeburt ihrer überspannten Fantasie!
Sie seufzte.
Ihr Blick schweifte durch die Finsternis, die erfüllt war vom leisen Rauschen der Kastanienblätter. Sie glaubte, den Geruch der Wildrosen unten am Weiher wahrnehmen zu können, und wieder waren da Geräusche, die sie sich nicht erklären konnte. Erst hörte sie das Klirren von Schwertern.
Und dann eine Frauenstimme.
Hasserfüllt zischte sie: „Ich verfluche dich, Rose!“
Die Stimme klang so realistisch, dass Rose sich umdrehte, weil sie glaubte, jemand stünde hinter ihr im Zimmer. Aber da war niemand. Stattdessen fiel Panik mit solcher Wucht über Rose her, dass sie sich am Türrahmen festhalten musste.
Nur mühsam beruhigte sie sich wieder, und dann hielt sie es in ihrem Zimmer nicht mehr aus. Sie zog ihr Nachthemd aus und streifte stattdessen das weiße Kleid über, das sie an diesem Tag gekauft hatte. Ihre langen, rotblonden Haare raffte sie am Hinterkopf zu einem Knoten zusammen. Dann schnappte sie sich ihre Sandalen, schloss die Terrassentür und schlich sich durch die Haustür ins Freie.
Eine unerklärliche Macht zog Rose zum Weiher. Als der intensive Duft der Wildrosen sie einhüllte, blieb sie stehen und ließ die Stille der Nacht auf sich wirken. Der Wind strich sanft um ihre nackten Beine und spielte mit dem dünnen Stoff ihres weißen Kleides. Rose ließ ihre Finger durch das Blütenmeer wandern und roch dann daran. Der Duft der Rosen hatte sich wie ein zartes Parfüm auf ihre Haut gelegt.
Ein fast voller Mond stand am Himmel und tauchte die bewegungslose Wasseroberfläche des Weihers in einen romantischen silbrigen Schimmer.
Rose schloss die Augen, und kurz taumelten Bilder durch ihren Kopf. Diesmal war sie nicht im Wasser des Weihers, sondern sie lag am Ufer im weichen Moos, während eine zärtliche Hand ihr die Haare aus dem Gesicht strich. Ganz dicht schwebte das Gesicht mit den sommerblauen Augen vor ihr, aber bevor sie das Bild richtig zu fassen bekam, verblasste es schon wieder. Vor sehnsüchtigem Schmerz zog sich Roses Herz zusammen. In diesem Moment ließen Schritte sie aufhorchen.
Schlagartig hatte sie eine Gänsehaut.
„Ist da wer?“, rief sie mit halblauter Stimme. Sie erhielt keine Antwort. Tiefe, unheimliche Stille umgab sie. Der Schein des Mondes wirkte plötzlich nicht mehr romantisch, sondern kühl und unheimlich. Der Schlag ihres Herzens dröhnte in ihren Ohren, und sie wunderte sich. Hätte sie nicht eigentlich Angst haben müssen? Stattdessen empfand sie etwas, das sich wie Vorfreude anfühlte. Ihre Knie begannen zu zittern, und ihre Hände ebenfalls.
Sie keuchte, als am anderen Ende der Rosenhecke eine Gestalt auftauchte. Und näher kam.
Ihre Augen weiteten sich.
Der Mann, der jetzt vor ihr stand, war der Kelte aus ihren Träumen. Groß war er und breitschultrig. Schwarze Locken wehten ihm um die Wangen. Rabenhaare, dachte sie. So hatte sie sie früher genannt ...
Früher?
Der Gedanke war nur ein schwaches Flüstern in ihrem Kopf. Sie konnte den Blick nicht von den blauen Augen des Kelten abwenden. Ernst lag sein Blick auf ihr, und sie ahnte den Schmerz, der in ihm lauerte.
„Du bist da“, flüsterte sie. Sie hatte keine Ahnung, warum sie das sagte.
Seine Augen weiteten sich kurz. Er schien überrascht von ihren Worten. Dann nickte er.
Sie wartete darauf, dass er die Stimme erhob. Sie wusste, er hatte eine tiefe, sanfte Stimme, die ihr die Haare im Genick
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