Die Verfluchte
Körper in Aufruhr. Am liebsten wäre sie weitergelaufen bis ans Ende der Welt, um diesem rätselhaften Mann und seinen unheimlichen blauen Augen zu entkommen. Und gleichzeitig ahnte sie, dass ihr das niemals gelingen würde. Irgendwie hatte sie das sichere Gefühl, dass er sie finden würde, wo auch immer sie sich befand.
Und sie wusste ebenso sicher, dass sie genau das wollte.
Sie senkte den Kopf und lauschte auf die Gefühle, die in ihrem Innersten tobten. Kurz dachte sie an Serge und daran, wie unvollständig sie sich in seinen Armen vorgekommen war. Ganz anders als bei Alan ...
Und dann schlug die Panik wieder über ihr zusammen. Die Panik, die sie bei dem Blick in Alans glühende, blaue Augen überkommen hatte. Seine tiefe Stimme hallte in ihr wider.
Bitte geh. Wenn du nicht sterben willst.
Und in diesem Moment wurde ihr schlecht.
„He!“ Enora eilte zu ihr, stützte sie und führte sie zu dem mit Chintz bezogenen Ohrensessel. „Du bist ganz blass. Was hast du nur?“ Ihre Freundin kniete sich vor ihr hin und sah sie aus besorgten, dunkelbraunen Augen an.
Rose rieb sich das Gesicht. Der bunte Flickenteppich tanzte vor ihren Augen.
„Ich habe ihn getroffen“, flüsterte sie.
„Wen?“ Enoras Augen glänzten.
Rose ließ sich in dem Sessel zurücksinken, bis sie fast lag. „Den Kelten ...“ Sie hob die Hand vor das Gesicht. Die kleinen Wunden, die die Dornen verursacht hatten, waren deutlich zu sehen. „Den Mann, von dem ich träume, seit wir hier sind.“ Sie schluckte, dann fügte sie hinzu: „Alan.“
Zu ihrer grenzenlosen Überraschung nickte Enora nur.
Sie hält dich für bekloppt! , dachte Rose. Was ja auch kein Wunder wäre. Das blaue Keltenmuster kam ihr in den Sinn, das auf dem Gesicht des Mannes erschienen war. Alan! , dachte sie. Sein Name ist Alan . Aber wie zum Teufel konnte sie seinen Namen kennen? Er hatte ihn ihr nicht gesagt, da war sie ganz sicher. Und mehr noch: Woher hatte sie gewusst, wie er aussah? Woher hatte sie von diesem unheimlichen Leuchten in seinen Augen und von diesen blauen Linien gewusst? Beides hatte sie in ihren Träumen gesehen, und beides hatte genauso ausgesehen wie in Wirklichkeit.
In Wirklichkeit?
Was, wenn sie die Begegnung unten am Weiher auch nur geträumt hatte? Vielleicht war sie einfach schlafgewandelt und hatte sich die ganze Szene nur eingebildet! Wieder starrte sie die kleinen Wunden in ihrer Handfläche an.
„Sag was!“, bat sie Enora, weil sie das Schweigen nicht mehr aushielt. „Sag, dass ich dabei bin, den Verstand zu verlieren.“ Sie holte zitternd Luft. Auf einmal war ihr so eng ums Herz, dass sie glaubte, ersticken zu müssen. Sie presste eine Hand auf ihr Dekolleté, um die Beklemmung zu lindern. „Sag, dass wir gleich morgen früh von hier verschwinden“, fügte sie mit Tränen in den Augen hinzu.
Enoras Gesicht verschloss sich. Sie betrachtete das bunte Muster des Flickenteppichs, und aus irgendeinem Grund schien sie mit sich zu ringen.
„Was denkst du?“, fragte Rose.
Aber Enora antwortete nicht. „Komm!“, sagte sie nur und zog Rose hoch. „Ich denke, dass es Zeit ist, schlafen zu gehen. Morgen früh sieht die Welt ganz anders aus.“
Rose wollte sich wehren, aber Enora war erstaunlich kräftig dafür, dass sie gerade einmal einen Meter fünfzig groß war. Da es sowieso keinen Zweck hatte, sich gegen ihre Freundin zur Wehr zu setzen, ließ Rose sich willenlos in ihr eigenes Schlafzimmer bugsieren.
Enora wartete, bis sie sich ihr Nachthemd angezogen hatte und unter die Bettdecke geschlüpft war. Das Fenster in ihrem Zimmer stand offen, kühle Luft wehte herein. Rose fröstelte.
„Ich bin gleich nebenan!“, sagte Enora. „Für den Fall, dass du was brauchst.“ Dann verließ sie das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Eine Weile lag Rose da und starrte in die Dunkelheit. Der fast volle Mond war untergegangen. Die weißen Vorhänge bewegten sich sanft im Luftzug und sahen aus wie Geister. Mit einem Ruck richtete sich Rose auf.
War Alan irgendwo dort draußen?
Ein warmes Gefühl keimte in ihrem Magen und wanderte von dort aus nach unten. Sie schluckte schwer, dann schwang sie die Beine aus dem Bett und tappte auf bloßen Füßen zum Fenster. Der Luftzug umschmeichelte ihren Körper, und sie schauderte. Draußen rührte sich nichts.
Mit einem Anflug von Trotz schlug Rose das Fenster zu und verriegelte es. Sie zog die Vorhänge vor, dann kehrte sie in ihr Bett zurück und zog die Decke bis zum Kinn
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