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Die Verfolgerin - Roman

Die Verfolgerin - Roman

Titel: Die Verfolgerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: edition 8
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nicht geeignet. Die muss intravenös injiziert werden. Herzkreislaufmedikamente eignen sich ebenfalls nicht. Die müssen in einer Überdosis verabreicht werden. Zu aufwändig. Rizin eignet sich. Es ist einer der giftigsten Eiweissstoffe in der Natur. Es genügen fünfundzwanzig Mikrogramm reines Rizin, um einen Erwachsenen zu töten. Das dauert dann nach Einnahme etwa zwei Tage. Kreislaufversagen, so sieht es von aussen aus. Etwas in der Art wie der Mord an dem bulgarischen Schriftsteller Georgi Markow im Jahre 1978 stelle ich mir vor. Er spazierte in London über die Waterloo Bridge und wurde scheinbar zufällig im Vorübergehen von einem Passanten mit der Regenschirmspitze am Unterschenkel berührt. Die Regenschirmspitze war mit Platinkügelchen, die Rizin enthielten, präpariert. Wie die Arsenkügelchen in der Mäusebutter der Gesche Gottfried. Rizin sei leicht zu beschaffen, heisst es im Internet. Zwei bis vier Samenkörner der Rizinuspflanze genügten, um eine tödliche Dosis herzustellen. Samen seien in jedem Gartenmarkt erhältlich. Auf der Website eines Schweizer Labors steht geschrieben, dass reines Rizin leicht aus dem Samen gewonnen werden kann. Nur wie?
    Ich verfolge die Kommunikation in einem Chemiker-Chat. Die Teilnehmer nennen sich nobody, ricinus und caliumzyanid. Es könnten Gymnasiasten sein. Leistungskurs Chemie. Nobody fragt die anderen, ob sie vielleicht alle ihnen bekannten Gifte aufzählen und schreiben können, was sie bei Einnahme im Organismus bewirken und wie ihre letale Dosis sei. Caliumzyanid fragt, ob sein Nachbar auch so einen nervigen Köter habe wie der seine. Nobody macht darauf aufmerksam, dass es verboten sei, eine Kochanleitung gefährlicher Rezepturen zu posten. Okay, antwortet Caliumzyanid und kommt zum Thema. Wenn man ein Kilogramm von Pu – er meint Plutonium – über der Erde verteilen würde, wäre die ohne Lebewesen. Nicht wegen der Radioaktivität, sondern weil Pu so giftig sei. Mein Lieblingsgift ist Colchicin, schreibt ricinus. Nobody antwortet, dass er heute auf eine Anleitung eines sehr gefährlichen Stoffes gestossen sei. Die anderen stellen Vermutungen an: Meinst du gewisse Phosphorsäureesterderivate oder Phosgen? Caliumzyanid schreibt, dass er froh sei so einen Gasschutzanzug zu besitzen. Er habe ihn sich geholt, weil er nur dreizehn Euro gekostet habe, und dass er darin aussehe wie ein grauer Teletubbi. Nobody erwidert, dass er nicht viel bringen werde, wenn er nur dreizehn Euro gekostet habe. Das Ding stamme aus NVA-Beständen, schreibt Caliumzyanid, und dass man Phosphorverbindungen auch problemlos ohne Schutzanzug in der eigenen Küche herstellen könne, wenn man im Milligrammbereich bleibe. Nobody stimmt zu. Es sei kein Problem, harmlose Dinge herzustellen, wie Rizinusöl. Bei der Verarbeitung falle automatisch das Produkt zur Herstellung des Giftes ab. Aus den Samen von Rizinus wird das Öl gepresst, aus dem Rest der Samen könne man ganz easy Rizin gewinnen. Ricinus schreibt, dass man nur mal schnell nach Russland zu jetten brauche und dort ein Kilo Plutonium auf dem Schwarzmarkt kaufen könne. Nobody macht nochmals dezent darauf aufmerksam, dass hier keine reellen Vorschläge gemacht werden dürften, um anderen Schaden zuzufügen. Auch wenn es nur um Hunde gehe. Caliumzyanid regt sich auf: Glaubt ihr wirklich, ich würde reelle Vorschläge machen, um den Nachbarsköter zu ermorden? Nein, so bin ich nicht, ich bin tierlieb. Aber der Hund hat ja einen Besitzer.
    Ich stelle mir die Gesichter der drei vor, die sich fachkundig im Chat austauschen. Ich stelle mir vor, sie sind sechzehn oder siebzehn Jahre alt, haben pickelige Aknehaut, trinken Cola oder Red Bull an ihrem Computer und essen Chips, haben in ihrem Zimmer, von dem aus sie chatten, noch einen Fernseher stehen. Ein Fussballspiel läuft gerade. Ich stelle mir vor, bei einem liegt ein Hund unter dem Schreibtisch, bei einem anderen ruft die Mutter aus der Küche, dass das Essen fertig sei. Wenn ich die Chatkommunikation lese, komme ich mir vor, als verfolgte ich eine Samstagabend-Comedy im Fernsehen. Samstagabend in Deutschland ...
    Die Erde hat sich von der Sonne weggedreht. Mattes oranges Licht ist am Horizont zu sehen. Das verschwindet in wenigen Minuten ebenfalls im Erdschatten. Noch wenige Wochen, dann werden die Tage länger. Ich brühe mir Tee auf, presse mir eine Orange aus und kehre an den Schreibtisch zurück. Auf einer Website namens Todeslust empfiehlt jemand, sich vierzehn Tage frei zu

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