Die Verfuehrung Des Ritters
Gegenüber. »Was wünscht er von mir?«
»Er wünscht, dass Ihr den Prinzen versteckt.«
»Aber Ihr habt gesagt... Ihr sagtet doch, der Prinz sei tot.«
»Ich habe gesagt, einige würden das behaupten. Aber so ist es nicht. Noch nicht.«
»Noch nicht?«
»Er ist krank, vielleicht wird er sterben. Er braucht Pflege. Wenn er die nicht bekommt, stirbt er auf jeden Fall.«
»Du lieber Himmel, wo ist er?«
»Er ist hier.«
Sie sprang auf. Beinahe hätte sie den knienden Boten umgestoßen. »Ihr habt den Prinzen hierher gebracht?«
Er richtete sich auf. Sein Lächeln war nur ein gespenstischer Schatten, der über sein ernstes Gesicht huschte. Aber die feinen Fältchen, die sich in sein Gesicht gruben, verrieten ihr, dass er in der Vergangenheit glücklichere Zeiten erlebt hatte, in denen ihm das Lachen nicht fremd gewesen war. Für einen kurzen Moment fragte sich Gwyn, mit wem er dieses Lachen geteilt hatte und wo diese Frau jetzt wohl sein mochte.
»Ich kannte Euren Vater recht gut, Mylady. Er war dem König immer treu ergeben.
Und heute erinnert Ihr mich sehr an ihn.«
»Und ich wünsche mir heute mehr als allen Ingwer Jerusalems, dass er hier wäre«, entgegnete sie. »Wo ist der Prinz?«
»Wir haben ihn in eine Decke gewickelt und auf dem Rücken meines Pferdes hergebracht. Wie einen Sack Weizen.«
»Wie viele seid Ihr?«, fragte sie rasch und ging auf die Tür zu. Der Bote folgte ihr und hielt sie ihr beflissen auf. Sie traten auf den kühlen Gang hinaus und eilten die enge Wendeltreppe hinunter, die in die große Halle führte. Dabei sprachen sie leise miteinander.
»Wir sind nur zu dritt. Der Prinz, mein Diener und ich.«
»Und wie lautet Euer Name?«
»Adam von Gloucester.«
Sie erreichten den Fuß der Treppe. »Wer weiß noch von der Sache?«
»Niemand außer mir. Und Euch.«
Die große Halle erstreckte sich vor ihnen. Diener waren mit ihren unterschiedlichen Aufgaben beschäftigt und gingen geschäftig hin und her. Aus einer angrenzenden Kammer waren Mädchenstimmen und helles Lachen zu hören; die Frauen hatten die Burg noch nicht verlassen. Zwei Ritter saßen sich an einem Tisch bei einer Partie Schach gegenüber. An einem anderen Tisch hatte sich eine Gruppe junger Knappen zusammengefunden, die froh zu sein schienen, für eine Weile ihren Pflichten entronnen zu sein. Sie alle hatten sich in die kühle Burg zurückgezogen, um der Gluthitze der Mittagsstunden zu entkommen. Wem es möglich war, der vermied es, nach draußen zu gehen.
»Niemand außer Euch weiß davon, Adam?«
»Und jetzt auch Ihr«, erinnerte er sie leise. Sein Blick glitt über die Menschen in der Halle. Sie alle hatten Augen zum Sehen und Ohren zum Hören. Und flinke Zungen.
»Kommt.« Sie ergriff ihn beim Arm und zog ihn zurück in den Schatten.
Sie folgten einem langen Gang, der an den Küchen vorbeiführte. Eine schrille Stimme, die sagte, man solle die Harfen bringen, drang an Gwyns Ohren. Die Harfen befanden sich vermutlich in einer der Vorratskammern, wo sie die hübschen Saiteninstrumente hatte aufbewahren lassen. Auf den herrlichen Festen, die einst auf Everoot stattgefunden hatten, hatten die Harfner den Instrumenten immer wunderschöne Melodien entlockt. Heute wurden keine Feste mehr gegeben, und Gwyn sagte sich, dass der Verkauf der Harfen ein zu verschmerzender Verlust war.
So manch einer meinte, die Zeiten wären zu finster und zu unsicher, um Feste zu feiern. Aber nicht nur die unsicheren Zeiten waren der Grund, warum es in der Halle still blieb, es war vor allem das fehlende Geld. Statt von Harfenklängen wurden die Mahlzeiten jetzt vom Klappern der Messer begleitet, und von einem Lachen, das hin und wieder zu hören war. Und in den langen, dunklen Nächten unterbrach nur das Rascheln der trockenen Bodenbinsen die Stille - und das Wehklagen der Frauen, die um ihre Männer trauerten.
»Hier entlang.«
Gwyn zeigte auf einen Durchgang, der zum nachträglich angebauten Küchengebäude führte. Sie traten in die glühende Sommerhitze hinaus. Die Sonne brannte heiß auf Gwyns Kopf. So fühlte es sich wohl an, wenn man auf einem Feuerrost lag. Schon nach wenigen Schritten war sie in Schweiß gebadet und spürte, wie die einzelnen Tropfen an ihrem Nacken und zwischen ihren Brüsten herabliefen.
Es fiel ihr schwer zu atmen.
Doch sie schritt unbeirrt durch diese Hitzewand und ging auf den Turm zu. Dort standen zwei Pferde, die in der Hitze dösten und allenfalls mit dem Schweif schlugen, um die Fliegen zu
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