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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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dass Franny nicht in Depressionen verfallen sein konnte, nachdem sie ihr Kind verloren hatte. Und noch etwas gab Cara zu denken. Dr. Robertsons Unterlagen zufolge hatte er am 5. Dezember 1958 ein gesundes Baby entbunden. Es war keine Totgeburt gewesen, wie Franny und Max behauptet hatten. Wie war es also dazu gekommen, dass er zwei Tage später eine falsche Todesurkunde unterschrieben hatte? Und warum hatte man die Geburt damals vertuscht?
    Als Cara wieder auf Stanhope Castle ankam, war es bereits dunkel, und das neogotische Gebäude wirkte gespenstischer als je zuvor. Auf der Rückfahrt hatte sie sich zurechtzulegen versucht, wie sie weiter vorgehen sollte. Sie wünschte sich, sie hätte Jake anrufen und um Rat fragen können. Aber Cara wusste, dass sie das hier allein durchstehen musste, nachdem sie ihn so barsch zurückgewiesen hatte. Ihr fiel ein, wie Gabriel ihr am Vortag gezeigt hatte, wo Max’ Arbeitszimmer lag. Bestimmt würde sich am ehesten in seinen persönlichen Unterlagen ein Hinweis auf die Ereignisse von damals finden.
    An jenem Abend stand Cara wartend in ihrem Zimmer am Fenster. Und tatsächlich, um Punkt neun Uhr verließ Max das Haupthaus und rollte hinüber zum Gästehaus. Sobald die Tür hinter ihm zugefallen war, eilte sie nach unten in sein Arbeitszimmer. Es war unverschlossen. Nachdem sie nicht wusste, wie lange er im Gästehaus bleiben würde, musste sie so schnell wie möglich vorgehen. Sie ging hinter seinem Schreibtisch in die Hocke, knipste die mitgebrachte Taschenlampe an und begann die Schubladen zu durchsuchen. Sie hatte keine Ahnung, wonach sie suchte, aber bestimmt gab es darin irgendwas, das ihr einen Anhaltspunkt dafür liefern konnte, was sich damals abgespielt hatte.
    Es war eine Kleinigkeit, die korrekt aufgeräumten Schubladen zu durchsuchen. In den meisten lagerten Kontoauszüge und Geschäftsbriefe. Aber schließlich fand sie, ganz hinten in der untersten Schublade, mehrere Briefbündel, die nach persönlicher Korrespondenz aussahen. Sie öffnete den obersten Umschlag und zog den Brief heraus. Sie blickte auf ein gewöhnliches Blatt Papier, auf dem handschriftlich die Adresse des Waisenhauses der Sisters of Charity in San Francisco eingetragen war. Im Schein der Taschenlampe überflog Cara den Brief. Er stammte von der dortigen Mutter Oberin, war Anfang 1959 verfasst worden und beschrieb den Zustand eines Kindes, eines Mädchens namens Sophie. Als Cara einen zweiten Umschlag aus einem anderen Bündel zog, stellte sie fest, dass er aus dem Jahr 1962 stammte und von derselben Nonne verfasst war. Auch in diesem Brief ging es um das gleiche Kind.
    Cara prüfte drei weitere Briefe aus drei verschiedenen Bündeln, aber jedes Mal kam sie zum gleichen Ergebnis – alle drehten sich um das Wohlergehen eines Mädchens namens Sophie; nur die Daten unterschieden sich. Soweit sie feststellen konnte, stammte der letzte Brief aus dem Vormonat. Sie wäre gern noch länger geblieben, um weiter zu suchen, doch sie hatte Angst, dass Max zurückkommen und sie auf frischer Tat ertappen könnte. Darum stopfte sie die Briefe wieder in die Umschläge und steckte die Bündel in die Schublade zurück, in der sie gelegen hatten. Sie hoffte, dass die Briefe genauso lagen wie zuvor, aber genau wusste sie das nicht. Ihr blieb nichts anderes übrig, als darauf zu bauen, dass Max nichts bemerkte.
    Während Cara nach oben huschte, fiel ihr etwas ein, das sie irgendwo gelesen hatte. Sobald sie wieder in ihrem Zimmer war, begann sie in den Artikeln über Frances Fitzgerald zu wühlen, die sie aus England mitgebracht hatte, bis sie schließlich das Gesuchte gefunden hatte: eine kleine Meldung im San Francisco Journal über einen ansehnlichen Betrag, den Maximilian Stanhope im Dezember 1958 nach dem Tod seines Kindes gespendet hatte. Und tatsächlich war die Spende damals an die Sisters of Charity gegangen.
    Auf dem Bett sitzend fasste Cara zusammen, was sie inzwischen wusste. Max hatte dem Waisenhaus Geld gespendet und im Gegenzug monatlich einen Bericht über den Zustand eines Kindes erhalten – und zwar immer desselben Kindes. Das konnte kein Zufall sein. Das musste Olivias Tochter sein. Aber wenn Max und Franny, wie sie vermutete, das Kind ursprünglich als ihr eigenes ausgeben wollten, warum hatten sie dann plötzlich ihre Meinung geändert?
    Am nächsten Morgen rief Cara im Waisenhaus an und ließ sich mit der Mutter Oberin verbinden, um einen Termin zu vereinbaren. Sie hatte sich eine Geschichte

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